7. Februar 2015: Fast ein Jahrhundert …
16. März 2015: Auf der Flucht nach Westen
22. Mai 2015: Heftiger Luftkampf über Idstein
8. Juli 2015: Als Soldat am Kriegsende bei Straßburg
14. Juli 2015: Zeitzeugen stellen Buch vor
25. August 2015: Beim Kampfgeschwader 76
4. November 2015:
„Ich stand am Zaun der Weltgeschichte“
16. Dezember
2015: Das brennende Warschau in Sichtweite
Erna Christmann zu Gast
beim Zeitzeugenabend
Auf fast ein Jahrhundert kann Erna Christmann zurückschauen –
mit 95 Jahren war sie der bislang älteste Gast bei den von der
Reservistenkameradschaft Idstein seit 2011 veranstalteten Zeitzeugenabenden.
Ende 1919 wurde Erna Christmann auf dem elterlichen Hof in
der Idsteiner Weiherwiese geboren. Bereits 1914 war ihr Bruder zu Welt
gekommen. Ihr Vater hatte den Ersten Weltkrieg als Soldat auf den
Schlachtfeldern erlebt.
Täglich schwere Arbeit
„Ich musste schwer arbeiten auf unserem Hof. Wir hatten viel
Vieh – Pferde, Kühe, Schweine und Hühner. Und dann mussten natürlich auch die
Felder bestellt werden“, so Erna Christmann. Freizeit gab es da kaum. Im Jahr
1934 wurde sie in der Unionskirche konfirmiert. Mit der Konfirmation endete für
Erna Christmann dann auch die Schulzeit. „Im Winter gab es dann immer
Unterricht in der Landwirtschaftsschule in der Grunerstraße. Aber ich konnte da
nicht hin. Wir hatten so viel auf dem Hof zu tun, dass ich keine Zeit dafür
hatte.“ Doch trotz vieler Arbeit auf dem Hof blieb immer noch ein wenig Zeit
für das Vergnügen. Jedes Jahr im Frühjahr gab es einen Abschlussball der
„Winterschule“, zu dem auch Erna Christmann ging. Dort lernte sie dann auch
ihren späteren Mann kennen, der aus Esch stammte.
Der Vater ihres Mannes war bis in die 1930er Jahre
Bürgermeister in Esch. „Dann wurde er von den Nazis
abgesetzt, weil er nicht in der Partei war. Auch meine Familie hatte mit der
Partei nichts am Hut. Dafür hatten wir gar keine Zeit.“
Mit knapp 19 Jahren erlebte sie die Reichspogromnacht 1938 in
Idstein. „Ich sehe noch heute, wie aus dem Fenster des Hauses der Familie
Lahnstein alles auf die Straße geworfen wurde.“ Felix Lahnstein war der letzte
Gemeindevorsteher der jüdischen Gemeinde in Idstein. Dann brach der Krieg aus.
„Mein Bruder wurde sofort eingezogen – und ich war mit meinen Eltern alleine
auf dem Hof.“ Später wurde ihnen ein französischer Kriegsgefangener zugewiesen.
Dunkle Kapitel
Auch an ein anderes dunkles Kapitel Idsteiner Geschichte
erinnert sich Erna Christmann – auch wenn sie es damals nicht deuten konnte.
„Früh morgens fuhren oft Leichenwagen hinaus zum Judenfriedhof.“ Dieser war im
Jahr 1942 durch den Kalmenhof erworben worden – die Leichenwagen kamen von
dort. Auch ihr Freund und späterer Mann, der Jahrgang 1911 war, musste in den
Krieg. Während ihr Bruder 1948 unversehrt aus englischer Kriegsgefangenschaft
entlassen wurde, traf es ihren Mann schwer. „Mein Mann war in Russland. Er war
Bursche bei einem Hauptmann und begleitet diesen immer zu Pferd. Eines Tages
trat sein Pferd auf eine Mine, mein Mann verlor dabei ein Bein.“
Doch auch von den Kriegszeiten in Idstein konnte Erna
Christmann berichten. „Wir sahen immer die Bomber über uns nach Wiesbaden und
ins Rhein-Main-Gebiet fliegen. Dann gab es Alarm, die Sirene in Idstein heulte.
Alles strömte zum Luftschutzbunker im Tiergarten.“ Dieser Bunker – ein Stollen
in den Felsen – ist zwischenzeitlich vermauert.
1946 wurde geheiratet, 1947/48 baute sie dann mit ihrem Mann
in der Friedrich-Ebert-Straße ein Haus. Er fand Arbeit bei der Firma Landauer,
1977 starb er. Erna Christmann ist bis heute fit und aktiv.
Peter
Friedel berichtet auf dem Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservisten
Dort fand er seine Frau, die in Wetzlar bei Buderus
arbeitete. Beide gingen 1939 zurück nach Schkölen, wo
sich Peter Friedels Vater selbstständig machen wollte. Doch der Krieg
durchkreuzte diesen Plan.
Noch kein Grenzübergang
Friedels Vater musste zur Wehrmacht. 1940 heirateten Peter
Friedels Eltern, 1941 kam er dann zur Welt. Doch das Schicksal meinte es nicht
gut mit der jungen Familie. 1943 fiel sein Vater in der Nähe von St. Petersburg
am Ladogasee. „Mein Vater ist gestorben, ohne mich jemals gesehen zu haben.“
Nach dem Tod des Vaters wollte die Mutter zurück nach Herborn zu ihrer Familie –
allein der Krieg verhinderte dies. „Wir lebten in Schkölen
bei meiner Großmutter. Zum Glück hatte sie einen Garten, der uns ernährte. Ab
1945 hat meine Mutter dann Kontakt zu ihrer Schwester nach Herborn
aufgenommen.“
1947 machte sich die Mutter auf den Weg in den Westen – mit
dem damals sechsjährigen Peter. Damals gab es dort noch keinen Grenzübergang.
Der Zug endete. Ab hier bedienten sich die Flüchtlinge sogenannten
„Grenzgängern“. Mutter und Sohn trafen dort zwei Männern, die aus dem Dillkreis
stammten. Sie waren zu Besuch im Osten und wollten zurück. Diesen schlossen
sich Mutter und Sohn an. Nach einer Übernachtung im Wald erreichten sie am
nächsten Morgen den Schlagbaum. Er war unbewacht und die Gruppe überquerte
problemlos die Grenze. „Meine Mutter hat sich umgedreht und hinter sich
gespuckt.“ In Herborn wurden sie von Peter Friedels Tante empfangen. „Wir
blieben erst einmal bei ihr, die Verhältnisse waren sehr beengt.“
Die Familie schaute nach einer Bleibe, doch es fand sich nichts.
Die Mutter entschied, zurück nach Schkölen zu gehen
und in ein oder zwei Jahren zurück nach Burg zu kommen.
„In Schkölen besuchte ich dann erst
einmal für zwei Jahre die Schule. Dann war eine andere Tante in Fischbach bei
Kelkheim bereit, mich aufzunehmen.“ Am Bahnhof in Schkölen
wurde Peter Fiedler einen Mann aus Okriftel
anvertraut, der ihn in den Westen schleuste.
Mutter kommt nach
1949 kam dann auch seine Mutter nach in den Westen. „Sie kam
über den gleichen Weg, den wir auch 1947 schon genommen hatten. Diesmal lief
allerdings nicht alles so glatt.“ Nicht die östlichen Grenzposten waren das
Problem, sondern die im Westen. Seine Mutter wurde fast wie eine Verbrecherin
behandelt. Aber die Weiterreise gelang. Mit 65 durfte auch die Großmutter ausreisen.
„Ich war nach der Grenzöffnung dreimal in Schkölen.
Ich muss sagen, dass mich dort nichts mehr hinzieht. Meine Heimat ist
woanders.“
Heftiger
Luftkampf über Idstein
Heinz Kegreiß war jüngster Gast auf
dem Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservisten. Er wurde zwar 1933 in Stuttgart
geboren, seine Familie zog aber schon 1939 nach Idstein um. Seine ersten
Erinnerungen hat Heinz Kegreiß an das Jahr 1938.
Damals hielt sich die Familie in Bürstadt auf, als
die Nationalsozialisten in der Reichspogromnacht die Synagogen und jüdischen
Kaufhäuser stürmten. „Ich war am nächsten Tag mit meiner Mutter auf dem Weg zur
Gemeindewaschküche. Wir kamen an einem jüdischen Kaufhaus vorbei. Dort waren
alle Möbel aus dem Fenster geworfen worden.“ Trotz seiner damals jungen Jahre
weiß er noch wie heute: „Eine Frau kam uns entgegen und sagte: Wenn wir das
noch einmal büßen müssen, geht es uns schlecht.“
Damals konnte keiner wissen, wie sehr sie Recht behalten
sollte. 1939 kam dann schon der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. „Da wohnten
wir schon in Idstein – ganz oben in der Bahnhofstraße. Als die allgemeine
Mobilmachung befohlen wurde, sah ich nachts Männer zum Bahnhof laufen, um ihrem
Gestellungsbefehl nachzukommen.“ Sein Vater blieb vorerst von einer Einberufung
verschont. Im Jahr 1940 meldete er sich aber freiwillig. Und während der Vater
nun im Krieg war, war Heinz Kegreiß der Mann zu
Hause.
Zum Flieger hingelaufen
„Bei Fliegeralarm beobachtete ich immer die Flieger. Die
flogen ja über Idstein nur hinweg, die Bomben waren für Wiesbaden, Mainz oder
Frankfurt bestimmt. Einmal konnte ich beobachten, wie eine Me
262 fünf Bomber abgeschossen hat.“ Bei einem anderen Luftkampf stürzte ein
amerikanisches Flugzeug nahe des Gassenbacher Hofes
ab, ein deutsches Flugzeug musste hinter Dasbach
notlanden. „Wir Jungs sind da natürlich hingelaufen.“ Manchmal kam es aber auch
zu sogenannten „Notabwürfen“ über Idstein oder in der Nähe. „Einmal explodierte
eine Luftmine – überall in Idstein gingen Fensterscheiben zu Bruch.“
Schließlich wurde auch Idstein zur Verteidigung vorbereitet. „Auf dem Rosenkippel gab es sechs MG-Stellungen. Und unter der
Autobahnbrücke stand ein Lkw mit einer Vierlings-Flak.“
Gegen Kriegsende kamen die Tiefflieger-Angriffe. Am Idsteiner
Bahnhof stand ein Güterzug mit Ersatzteilen für Flugzeuge. Zwölf Tiefflieger
griffen den Zug an. „Wir Jungs haben das gesehen und uns zu dritt unter einem
Baum versteckt. Die Flieger waren so tief, dass wir die Hautfarbe der Piloten
erkennen konnten.“
Am 27.3.1945 standen dann die Amerikaner auf der Autobahn.
Die Idsteiner wurden aufgefordert, ihre Stadt kampflos zu übergeben. Die
Familie versteckte sich im Apfelweinkeller der Firma Merz – schließlich wusste
man nicht, was passieren würde. „Als wir morgens aus dem Keller kamen, kamen
uns schon die ersten Amerikaner entgegen.
Amerikaner in der Stadt
Meine Mutter hatte große Angst, ich eigentlich weniger.“ Die
Amerikaner hatten Ihre Fahrzeuge auf der Freifläche der Familie Kappus in der
Wiesbadener Straße (heute unterhalb Café Anna Blank) abgestellt. „Das war ja
direkt in unserer Nähe. Da lernte ich einen Amerikaner kennen – Frank Field
hieß er. Er war etwa 20 Jahre alt. Jeden Abend kam er uns besuchen und brachte
mir Süßigkeiten mit. Wir hatten auch nach dem Krieg noch Kontakt, aber er ist
dann in Vietnam gefallen.“ Heute lebt Kegreiß in Wörsdorf, doch im „Ruhestand“ ist er trotz seines Alters
noch lange nicht. Noch immer ist er ein gefragter Werkzeugmacher.
Als
Soldat am Kriegsende bei Straßburg
Bei
tropischen Temperaturen fanden sich über 20 Gäste in der Gaststätte
„Ziegelhütte“ ein, um dem Zeitzeugen-Bericht von Kurt Grosbach
zu folgen. Mit diesem Abend starteten die Idsteiner Zeitzeugenabende der
Reservistenkameradschaft Idstein ins fünfte Jahr. Kurt Grosbach
wurde am 30. Mai 1927 als mittlerer von drei Brüdern in Görsroth
geboren. Ein Bruder war ein Jahr älter, der zweite Bruder erblickte erst 1937
das Licht der Welt.
Wie
alle aus seinem Dorf war auch Kurt Grosbach bei der
Hitler-Jugend. Sein Elternhaus war stark ideologisch geprägt, denn sein Vater
Julius war nicht nur Parteimitglied, sondern auch NSDAP-Ortsgruppenleiter in Görsroth. Mit 13 ging Kurt Grosbach
zur Feuerwehr. Nach der Schule machte Grosbach bei
der Bäckerei Bucher in Idstein eine Lehre als Bäcker und Konditor. Anfang Mai
1944 legte er seine Gesellenprüfung ab. Noch in der gleichen Woche kam der
Einberufungsbescheid. Erst ging es für drei Monate zum Reichsarbeitsdienst,
dann als Soldat zur Wehrmacht.
Auf
seine kurze militärische Grundausbildung von nur acht Wochen als Infanterist
und Funker in Zweibrücken folgte ein Kampfeinsatz im Raum Straßburg/Metz. „Hier
gehörte ich zur Kampfgruppe Koppitsch, geführt von
Major Otto Koppitsch. Den nannten wir nur ,den kleinen General’. Noch bevor es an die Front ging,
verletzte ich mich am Fuß und musste 14 Tage ins Krankenrevier. Als ich dann zu
meiner Einheit kam, waren schon fünf aus meinem Jahrgang gefallen. Halb
ausgebildet sollten wir voll einsatzfähig sein.“ Eines Tages brachen Amerikaner
mit Spähwagen durch die Stellungen von Grosbachs
Einheit. „Wir haben sie eingekesselt und gefangen genommen. Neun Amerikaner
waren es, einer konnte etwas Deutsch. Der sagte ständig: ,Ihr
gewinnt den Krieg‘. Das hat er bestimmt selbst nicht geglaubt, der hatte bloß
Angst vor uns.“
Briefe
kommen nicht an Nach Hause geschrieben und berichtet hat Kurt Grosbach immer wieder, angekommen ist kein einziger Brief.
Dafür kam im Januar 1945 ein Telegramm von zu Hause: Sein älterer Bruder war
bei den Kämpfen in der Gegend von Rom gefallen. Grosbach
bekam fünf Tage Sonderurlaub und reiste nach Hause – der einzige Urlaub seiner
Militärzeit. In Gefangenschaft geriet Kurt Grosbach
dann wieder im Raum Straßburg/Metz. „Die Amerikaner hatten im Kampf gegen uns
eine Strafkompanie eingesetzt. Es waren alles Farbige.
Erst habe ich das nicht erkannt und ich dachte, sie hätten sich angemalt. Das
waren harte Kämpfer.“ Seine Gruppe – acht Soldaten in seinem Alter geführt von
einem Feldwebel – wurde von den Amerikanern gefangen genommen.
Es
ging für sechs Wochen in ein Gefangenenlager der Amerikaner, bevor sie an die
Franzosen übergeben wurden. In französischer Gefangenschaft ging es zunächst
als Erntehelfer in die Region südlich von Paris. auf.“ Nach vier Jahren
Gefangenschaft gelang dann endlich im Frühjahr 1949 die Flucht. Mit zwei
Kameraden versteckte er sich in der Lok, die die Kohle aus dem Bergwerk
abtransportierte. „Als ich in Görsroth ankam und die
Tür zu unserem Hof öffnete, sagte meine Mutter: ,Hier
wird nicht gebettelt!‘ Sie hat mich einfach nicht erkannt. Ich war spindeldürr
und kahl geschoren.“
Zeitzeugen
stellen Buch vor
Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist
dazu verurteilt, sie zu wiederholen.“ Mit diesem Zitat des spanischen Philosophen
George Santayana beginnt ein Buch mit Berichten von Zeitzeugen des Dritten
Reiches, das von der Reservistenkameradschaft Idstein heraus gegeben worden
ist.
Seit
April 2011 veranstaltet die Kameradschaft in unregelmäßigen Abständen ihre
Zeitzeugenabende. 29 Berichte von sieben Frauen und sechzehn Männern sind in
dem 160 Seiten starken Buch mit dem Titel „Ich war dabei“ zusammengefasst, das
nun im Idsteiner Gerberhaus vorgestellt wird. Auf gut einhundert Seiten enthält
es Kapitel mit Titeln wie „Als Wachposten in der Nacht zum D-Day“, „20 000
Kronen für die Freiheit“ oder „Ein Fallschirm wird zum Hochzeitskleid“. Ergänzt
werden sie mit Porträtfotos der Zeitzeugen damals und heute sowie umfangreichem
Bildmaterial des Bundesbildarchivs. Der zweite Teil des Buches umfasst Anlagen
wie Briefe, Dokumente oder einen Tagebuchauszug mit Kriegserlebnissen ab 1941.
„Uns
ging es von Anfang an nicht darum, Heldengeschichten zu hören. Uns ging es
darum zu hören: Wie war es?“, erläutert Co-Autor Jörg Fried. Schließlich hätten
die Menschen im nationalsozialistischen Deutschland ein Leben mit ganz normalen
Sorgen des Alltags gehabt. „Aber auch mit Sorgen und Ängsten, die wir uns nicht
vorstellen können und hoffentlich niemals spüren müssen“, fügt er hinzu. Gemeinsam
mit Co-Autor Klaus Bücher, mit dem er die Zeitzeugenabende organisiert, hat er
die dabei entstandenen Mitschriften für das Buch bearbeitet, die dann noch
einmal von den Zeitzeugen Korrektur gelesen worden sind. Mehr als ein Dutzend
von ihnen gehören zu den mehr als 50 Gästen bei der Vorstellung des Buches, das
zunächst in einer Auflage von 300 Exemplaren in einer Internet-Druckerei
produziert worden ist. „Es geht nicht um Sensationen, sondern um eine gelebte
Epoche unserer Geschichte“, betont Idsteins erster Stadtrat Felix Hartmann in
seinem Grußwort. Da die meisten der Zeitzeugen aus dem Idsteiner Land stammen,
sind auch die Bürgermeister von Niedernhausen und Hünstetten zu der Veranstaltung erschienen. „Es ist
wichtig, dass die Mütter- und Vätergeneration ihr Vermächtnis hinterlassen
kann“, unterstreicht Brigadegeneral Eckart Klink, Kommandeur des
Landeskommandos Hessen, die Bedeutung des Buches. Die Reihe der
Zeitzeugenabende wird fortgesetzt. Erst im Januar ist mit der 95-jährigen Erna
Christmann die bislang älteste Zeitzeugin zu Gast gewesen. Und so besteht die
Hoffnung, dass in ein paar Jahren noch ein weiterer Band mit ganz persönlichen
Erinnerungen und Erfahrungen veröffentlicht werden kann.
Das
Buch mit dem Titel „Ich war dabei“ ist zum Preis von 15 Euro in der
Buchhandlung Schneider in der Limburger Straße 9 in
Idstein erhältlich. Außerdem kann es zuzüglich Versandkosten unter E-Mail bestellung@rk-idstein.de geordert
werden. Der Reinerlös soll dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
gespendet werden.
Beim
Kampfgeschwader 76
Mit
über 40 Gästen war der jüngste Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservisten sehr
gut besucht. Der 93-jährige Willi Foth aus Limbach
berichte, wie es ihn von seinem Heimatort Alfonshof in Westpreußen nach Limbach
im Taunus verschlug. Als er 1922 geboren wurde, lag seine Heimat im polnischen
Korridor zwischen Ostpreußen und Pommern – etwa 70 Kilometer von Danzig
entfernt und 30 Kilometer von der polnisch-deutschen Grenze. Bis zum Ende des
Ersten Weltkriegs war dies deutsches Reichsgebiet. So
lebten hier auch nur Deutsche, alle sprachen deutsch. „Als ich dann in die
Schule kam, musste ich dort – wie alle anderen auch – polnisch sprechen. Das
habe ich dann erst dort gelernt.“
Dann
kamen der Kriegsbeginn und der Einmarsch der Deutschen in Polen. „Da wir nahe
an der Grenze lagen, war die Wehrmacht bald bei uns. Alle waren begeistert –
wir waren ja alle Deutsche.“ Im Dezember 1940 wurde Willi Foth
gemustert – „kriegsverwendungsfähig“ lautete das Ergebnis. So ging es zuerst
einmal zum Reichsarbeitsdienst (RAD) nach Teplitz-Schönau.
Weiter ging es für zwei Wochen nach Danzig und dann weiter nach Heiligenbeil an
der Ostsee. „Hier gab es einen Militärflugplatz, an dem wir Flak-Stellungen
betonieren mussten. In unserer Freizeit gingen wir an die Ostsee zum Baden.“
Badeverbot an der Ostsee
Am
21. Juni 1941 gab es dann plötzlich Badeverbot. „Am nächsten Tag wussten wir
warum: Die Flieger starteten Richtung Osten – der Russlandfeldzug begann.“ Am
28./ 29.11.1941 ging es wieder zurück nach Teplitz-Schönau,
wo Foth dann aus dem RAD entlassen wurde. Zuhause
angekommen erreichte ihn die Einberufung zur Wehrmacht. Zum Jahresbeginn 1942
rückte er beim Flug-Ausbildungs-Regiment 14 in Klagenfurt ein. Nach der
Ausbildung wurde er zum Kampfgeschwader 76 versetzt. Es ging für Foth nach Orleans, südlich von Paris. Hier wurde er als
Bordschütze für den Einsatz auf einer Junkers Ju-88
ausgebildet. Dann wurde er Ausbilder in Toulouse. Später ging es mit dem KG 76
nach Finow bei Eberswalde. „Hier wurden wir mit der Arado
AR-234 ausgestattet – dem ersten strahlgetriebenen Bomber der Welt. Immer
wieder versteckten wir die Maschinen am Boden, immer wieder kamen
Tieffliegerangriffe. „Ich erinnere mich noch an den ersten Angriff mit einer
Lockheed Lightning – einer Doppelrumpf-Maschine. So
eine hatten wir bis dato noch nicht gesehen, alle standen wir vor der
Flugzeughalle und schauten nach oben. Da klinkte die Maschine auch schon ihre
Bombe aus. Sie verfehlte die Halle und schlug daneben ein. Diesen Knall werde
ich nicht vergessen.“ Bis heute ist Willi Foths Gehör
beeinträchtigt. Gegen Kriegsende floh Foths Einheit
über Budweis nach Linz. „Hier wurden wir von einer
SS-Einheit angehalten und entwaffnet. Sie meinten: ‘Ihr braucht keine Waffen
mehr. Wir fahren zur Front, wir brauchen sie!’“ Bei Wels geriet er mit seinen
Kameraden in Gefangenschaft. Vier Tage wurden sie in einer Schule
untergebracht. Weiter ging es von Wels nach Lambach.
„Ein
Kamerad aus Panrod hat gesagt, ich solle nach Michelbach fahren. Dort gäbe es immer Arbeit in der
Eisenhütte.“ So verschlug es ihn in den Taunus, hängen geblieben ist er in
Limbach. Seine Heimat in Westpreußen hat Willi Foth
nie mehr besucht. „Das wollte ich nicht, ich wollte es in Erinnerung behalten,
wie ich es kannte.“ 70 Jahre lebt Willi Foth nun
schon in Limbach – umgeben von seiner großen Familie.
Zeitzeuge
Walter Ulrich berichtet über seine Zeit als Marine-Soldat im Zweiten Weltkrieg
Geboren
wurde Walter Ulrich am 17.11.1921 in der noch jungen Weimarer Republik. Prägen
sollte ihn allerdings die Zeit des Nationalsozialismus. Walter Ulrich kam in Strintz-Trinitatis zur Welt. Mit zehn Jahren ging es zum
Jungvolk. „Wir machten in dieser Zeit viele Ausflüge“. erzählt Ulrich. „Für uns
Kinder war das toll.“ So ging es unter anderem zu den Karl-May-Festspielen.
Später gehörte er der Hitlerjugend an. Als ihn auf der Bannführerschule die
Nachricht vom Ausbruch des Krieges erreichte, meldete er sich sofort, mit 18
wurde er im zweiten Anlauf genommen. „Mein Vater war Soldat im Ersten Weltkrieg
und über meine Entscheidung entsetzt. Aber so waren wir im Nationalsozialismus
nun einmal erzogen.“
Er
kam zur Luftwaffe in die Nähe von Schleswig, wo er seine Ausbildung machte. Von
dort ging es weiter nach Antwerpen. Von Antwerpen wurde seine Einheit auf die
Krim verlegt. Weiter ging es über das Schwarze Meer bis zur Halbinsel Taman. Mit den Booten transportieren sie Soldaten von
großen Schiffen an Land. „Die Russen hatten den ganzen Strand vermint. Von 100
Soldaten, die wir am Stand absetzten, überlebte nur die Hälfte.“ Auch Ulrich
wurde verwundet, als sein Boot auf eine Seemine fuhr „Die hinten im Boot waren
sofort tot.“ Er kam für drei Monate ins Lazarett nach Schessow,
am 20. Dezember 1942 durfte er auf Genesungsurlaub nach Hause. „Das war mein
Glück. Die Russen hatten das Lazarett eingenommen und hausten übel.“ Die
verwundeten Soldaten wurden alle erschossen. Die Schwestern hängte man an den
Beinen außen an den Fenstern auf und übergoss sie mit Wasser. „Bei tiefsten
Minusgraden erfroren sie jämmerlich.“ Von der Krim kam Ulrich über Sizilien und
Niederschlesien nach Le Havre. Hier geriet Ulrich dann im September 1944 in
amerikanische Gefangenschaft. „Wir saßen unten in einem Bunker und haben uns
mit einem 18-Zentimeter-Geschütz verteidigt. Die über uns hatten schon die
weiße Fahne gehisst.“ Plötzlich habe ein Offizier geschrien: „Wer jetzt noch
schießt, wird von mir erschossen!“
Nach sechs Wochen kam er nach Colchester
in englische Gefangenschaft. 1948 wurde er schließlich entlassen. Er begann,
wieder bei seinem Vater in der Schneiderei zu arbeiten.
Ich stand
am Zaun der Weltgeschichte
Karl Heinz Schmidt zu Gast
beim Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservisten
„Ich
war nicht dabei, eher würde ich sagen: Ich stand am Zaun der Weltgeschichte.
Der Krieg war für uns ein großes Abenteuer“, begann Karl Heinz Schmidt seinen
Vortrag am Idsteiner Zeitzeugenabend der Reservistenkameradschadt
Idstein. Geboren wurde er 1930 in Bad Schwalbach. Hier kam er 1936 in die
Schule, ab 1942 besuchte er das Gymnasium in Wiesbaden.
Eine Uhr zum Geburtstag
„Zu meinem 10. Geburtstag bekam ich eine
Armbanduhr geschenkt – das war etwas Besonderes. Ab da fing ich an, in meinem
Taschenkalender ganz genau einzutragen, wann es in Bad Schwalbach Fliegeralarm
gab.“ Wahrscheinlich ist dies das einzige Dokument seiner Art, das genau
Auskunft über die Alarme in Bad Schwalbach geben kann. „Mit Kriegsbeginn 1939
machte sich der Krieg auch schon in Bad Schwalbach bemerkbar. Überall waren
Soldaten. Der Sportplatz war belegt mit großen Waffen und im Kurhotel
residierte der Stab, der die Maginotlinie angreifen
sollte.“ Auf den Anhöhen um Bad Schwalbach standen Flak-Geschütze, die den Stab
schützen sollten. „Nach acht Wochen wurden sie wieder abgezogen, da man merkte,
dass keine Gefahr drohte“, so Schmidt. Viel Propaganda wurde in dieser Zeit
betrieben. So wurde behauptet, dass Kartoffelkäfer über Deutschland abgeworfen
würden, um die Ernte zu schädigen. „Also mussten wir als Schüler raus auf die
Felder und Kartoffelkäfer sammeln.“
Dann
kam der 20. Juli 1944 – der Tag des Attentats auf Adolf Hitler. „Ich war
unterwegs zu meinem Onkel nach Bad Nauheim. Dorthin fuhr ich öfter zum Hamstern
– also um Lebensmittel zu besorgen. Auf der Fahrt wurde der Zug beschossen, wir
versteckten uns unter den Waggons.“
Das Radio lief immer
Als
Schmidt in Bad Nauheim ankam, stand eine Rauchwolke über der Stadt. Bad Nauheim
war angegriffen worden. Überall war die Feuerwehr im Einsatz, viele Häuser
brannten. Als er seinen Onkel erreicht hatte, lief wie immer das Radio.
Das
Radio lief ständig wegen der Luftlagemeldungen. Plötzlich kam eine
Sondermeldung, die etwa lautete, dass ein Attentat auf den Führer verübt worden
sei, er dieses aber unversehrt überlebt habe.“ Zu dieser Zeit war in Bad Nauheim
auch ein weiterer Onkel zu Gast, den man nur den Mecklenburger Onkel nannte.
„Es passierte etwas, das ich noch nie erlebt hatte. Der Mecklenburger Onkel
schlug auf den Tisch und schrie: So ein Unglück, dass es den Lump nicht
erwischt hat. Dem haben wir doch den Krieg zu verdanken.“
Schließlich
kam für Schmidt noch die Einberufung zum Schanzeinsatz. Am 24. März 1945 ging
es nach Hahn. Dort folgte am nächsten Tag die Verpflichtung auf den Führer. Es
folgte der Einsatzbefehl: am 28. März Meldung in Idstein. Dann ging es erst
einmal zurück nach Bad Schwalbach. Noch bevor sich Karl Heinz Schmidt auf den
Weg machen konnte nach Idstein, rückten am 27. März die Amerikaner in Bad Schwalbach
ein. Der Krieg war für ihn aus. Doch der Bericht von Karl Heinz Schmidt ist
noch lange nicht beendet. Sicher wird er an einem der folgenden
Zeitzeuge-Abende erneut zu Gast sein und von den Nachkriegszeiten in Bad Schwalbach
berichten.
Idsteiner Zeitung, 16.
Dezember 2015
Das
brennende Warschau in Sichtweite
Werner Bingel aus Holzhausen
berichtet über seine Erlebnisse als Soldat
Letzter
Gast für dieses Jahr in der Reihe „Zeitzeugen berichten“ der Idsteiner
Reservistenkameradschaft war Werner Bingel aus Holzhausen über Aar. Bereits im
Dezember 1941 wurde Werner Bingel zur Wehrmacht eingezogen und kam nach Arlon in Belgien. Hier blieb er mit seiner Einheit bis zum
Januar 1942, dann wurde nach Luneville in Lothringen
nahe Nancy verlegt.
Über
ein Jahr bleib Werner Bingel dort mit seiner Einheit stationiert. Erst im März
1943 hieß es, Abschied nehmen. Nach einem etwa zehntägigen Aufenthalt in Carcassonne in Südfrankreich ging es per Zug auf die Krim.
Über Odessa ging es nach Feodossija. „Hier lagen wir
am Meer. Mit den Pferden konnten wir direkt ins Wasser – das war angenehm.“
Dann begann im September 1943 der Rückzug der deutschen Wehrmacht. Jede Nacht
ging es 20 bis 30 Kilometer zurück. „Der Rückzug wurde immer durch die 1.
Kompanie gedeckt. Die blieb bis 22 Uhr und schoss.“ Zurück ging es über den
Dnjepr. Bingels Einheit gelang es, sich über den Dnjepr abzusetzen. Beim
Trinken am Fluss gab es eine Explosion, eventuell hatte sich eine Handgranate
gelöst und war explodiert. Bingel wurde verletzt. Zur Genesung kam er nach Ohrdruff in Thüringen. Hier blieb er bis kurz vor
Weihnachten 1943. „Dann durfte ich vier Wochen Urlaub nehmen, sodass ich erst
Anfang 1944 zurück zur Truppe musste.“ Dann ging es in ein Ausbildungslager
nahe Koblenz, anschließend kam er nach Konitz in
Westpreußen. Als dann der Warschauer Aufstand losbrach, wurde Bingel Richtung
Warschau verlegt. „Wir blieben nördlich des Narew,
aber wir sahen das brennende Warschau. In die Kämpfe griffen wir nicht ein.
Wahrscheinlich waren wir als Reserve verlegt worden.“
Mehrfach verwundet
Bei
Modlin wurde Bingel dann Ende 1944 erneut verwundet.
Er kam nach Marienwerder in Westpreußen in ein
Lazarett und durfte auch die Jahreswende 1944/1945 wieder mit Urlaub zu Hause
verbringen. Am 19. Januar 1945 kam Werner Bingel dann in Neubrandenburg zum
Einsatz. Bei einem Granateinschlag wurde er erneut verwundet. Ein
Granatsplitter traf ihn an der rechten Hüfte. Er kam in ein Lazarett in Burgstädt
knapp 70 Kilometer von Dresden entfernt. Es war Anfang Februar 1945. „Hier
erlebte ich den großen Angriff auf Dresden. Immer und immer wieder gingen wir
in den Keller.“
Flüchtlingstrecks
beschossen
Gegen
Kriegsende wurde er zur Heeresentlassungsstelle 1/X in Hamburg in Marsch
gesetzt. Auf dem Weg dorthin traf er viele Flüchtlingstrecks. „Ständig kamen
die englischen Jagdbomber. Die haben auf alles geschossen, was sich bewegt. Es
war doch klar, dass das Flüchtlinge waren. Aber das interessierte die nicht.“
Als
er in Hamburg ankam, rechnete man stündlich mit dem Einmarsch der Briten. „Es
kam die Anweisung: Das Tragen von bürgerlicher Kleidung ist gestattet. Wir
bekamen unsere Entlassungspapiere, und am nächsten Morgen um 5 Uhr waren die
Briten da.“ Es war der 3. Mai 1945.
Heute
ist Bingel fast der Letzte seines Jahrgangs in Holzhausen. Den Granatsplitter
in der Hüfte hat er übrigens noch immer.