Pressespiegel 2015

 

7. Februar 2015: Fast ein Jahrhundert …

16. März 2015: Auf der Flucht nach Westen

22. Mai 2015: Heftiger Luftkampf über Idstein

8. Juli 2015: Als Soldat am Kriegsende bei Straßburg

14. Juli 2015: Zeitzeugen stellen Buch vor

25. August 2015: Beim Kampfgeschwader 76

23. September 2015: Zeitzeuge Walter Ulrich berichtet über seine Zeit als Marine-Soldat im Zweiten Weltkrieg

4. November 2015: „Ich stand am Zaun der Weltgeschichte“

16. Dezember 2015: Das brennende Warschau in Sichtweite

 

 

werbul1d Idsteiner Zeitung, 7. Februar 2015

 

Fast ein Jahrhundert...

 

Erna Christmann zu Gast beim Zeitzeugenabend

 

Auf fast ein Jahrhundert kann Erna Christmann zurückschauen – mit 95 Jahren war sie der bislang älteste Gast bei den von der Reservistenkameradschaft Idstein seit 2011 veranstalteten Zeitzeugenabenden.

 

Ende 1919 wurde Erna Christmann auf dem elterlichen Hof in der Idsteiner Weiherwiese geboren. Bereits 1914 war ihr Bruder zu Welt gekommen. Ihr Vater hatte den Ersten Weltkrieg als Soldat auf den Schlachtfeldern erlebt.

 

Täglich schwere Arbeit

 

„Ich musste schwer arbeiten auf unserem Hof. Wir hatten viel Vieh – Pferde, Kühe, Schweine und Hühner. Und dann mussten natürlich auch die Felder bestellt werden“, so Erna Christmann. Freizeit gab es da kaum. Im Jahr 1934 wurde sie in der Unionskirche konfirmiert. Mit der Konfirmation endete für Erna Christmann dann auch die Schulzeit. „Im Winter gab es dann immer Unterricht in der Landwirtschaftsschule in der Grunerstraße. Aber ich konnte da nicht hin. Wir hatten so viel auf dem Hof zu tun, dass ich keine Zeit dafür hatte.“ Doch trotz vieler Arbeit auf dem Hof blieb immer noch ein wenig Zeit für das Vergnügen. Jedes Jahr im Frühjahr gab es einen Abschlussball der „Winterschule“, zu dem auch Erna Christmann ging. Dort lernte sie dann auch ihren späteren Mann kennen, der aus Esch stammte.

 

Der Vater ihres Mannes war bis in die 1930er Jahre Bürgermeister in Esch. „Dann wurde er von den Nazis abgesetzt, weil er nicht in der Partei war. Auch meine Familie hatte mit der Partei nichts am Hut. Dafür hatten wir gar keine Zeit.“

 

Mit knapp 19 Jahren erlebte sie die Reichspogromnacht 1938 in Idstein. „Ich sehe noch heute, wie aus dem Fenster des Hauses der Familie Lahnstein alles auf die Straße geworfen wurde.“ Felix Lahnstein war der letzte Gemeindevorsteher der jüdischen Gemeinde in Idstein. Dann brach der Krieg aus. „Mein Bruder wurde sofort eingezogen – und ich war mit meinen Eltern alleine auf dem Hof.“ Später wurde ihnen ein französischer Kriegsgefangener zugewiesen.

 

Dunkle Kapitel

 

Auch an ein anderes dunkles Kapitel Idsteiner Geschichte erinnert sich Erna Christmann – auch wenn sie es damals nicht deuten konnte. „Früh morgens fuhren oft Leichenwagen hinaus zum Judenfriedhof.“ Dieser war im Jahr 1942 durch den Kalmenhof erworben worden – die Leichenwagen kamen von dort. Auch ihr Freund und späterer Mann, der Jahrgang 1911 war, musste in den Krieg. Während ihr Bruder 1948 unversehrt aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, traf es ihren Mann schwer. „Mein Mann war in Russland. Er war Bursche bei einem Hauptmann und begleitet diesen immer zu Pferd. Eines Tages trat sein Pferd auf eine Mine, mein Mann verlor dabei ein Bein.“

 

Doch auch von den Kriegszeiten in Idstein konnte Erna Christmann berichten. „Wir sahen immer die Bomber über uns nach Wiesbaden und ins Rhein-Main-Gebiet fliegen. Dann gab es Alarm, die Sirene in Idstein heulte. Alles strömte zum Luftschutzbunker im Tiergarten.“ Dieser Bunker – ein Stollen in den Felsen – ist zwischenzeitlich vermauert.

 

1946 wurde geheiratet, 1947/48 baute sie dann mit ihrem Mann in der Friedrich-Ebert-Straße ein Haus. Er fand Arbeit bei der Firma Landauer, 1977 starb er. Erna Christmann ist bis heute fit und aktiv.

 

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 16. März 2015

 

Peter Friedel berichtet auf dem Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservisten

 

Mit 73 Jahren war Peter Friedel der bislang jüngste Gast der Idsteiner Zeitzeugenabende. Er berichtete aus der Zeit der Teilung Deutschlands. Die Erzählung aus seiner Familiengeschichte begann aber früher. Sein Vater wurde im Jahr 1912 in Schkölen südlich von Naumburg geboren. Nach seiner Ausbildung zum Friseur verschlug es ihn auf seiner Wanderschaft nach Wetzlar.

 

Dort fand er seine Frau, die in Wetzlar bei Buderus arbeitete. Beide gingen 1939 zurück nach Schkölen, wo sich Peter Friedels Vater selbstständig machen wollte. Doch der Krieg durchkreuzte diesen Plan.

 

Noch kein Grenzübergang

 

Friedels Vater musste zur Wehrmacht. 1940 heirateten Peter Friedels Eltern, 1941 kam er dann zur Welt. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit der jungen Familie. 1943 fiel sein Vater in der Nähe von St. Petersburg am Ladogasee. „Mein Vater ist gestorben, ohne mich jemals gesehen zu haben.“ Nach dem Tod des Vaters wollte die Mutter zurück nach Herborn zu ihrer Familie – allein der Krieg verhinderte dies. „Wir lebten in Schkölen bei meiner Großmutter. Zum Glück hatte sie einen Garten, der uns ernährte. Ab 1945 hat meine Mutter dann Kontakt zu ihrer Schwester nach Herborn aufgenommen.“

 

1947 machte sich die Mutter auf den Weg in den Westen – mit dem damals sechsjährigen Peter. Damals gab es dort noch keinen Grenzübergang. Der Zug endete. Ab hier bedienten sich die Flüchtlinge sogenannten „Grenzgängern“. Mutter und Sohn trafen dort zwei Männern, die aus dem Dillkreis stammten. Sie waren zu Besuch im Osten und wollten zurück. Diesen schlossen sich Mutter und Sohn an. Nach einer Übernachtung im Wald erreichten sie am nächsten Morgen den Schlagbaum. Er war unbewacht und die Gruppe überquerte problemlos die Grenze. „Meine Mutter hat sich umgedreht und hinter sich gespuckt.“ In Herborn wurden sie von Peter Friedels Tante empfangen. „Wir blieben erst einmal bei ihr, die Verhältnisse waren sehr beengt.“

 

Die Familie schaute nach einer Bleibe, doch es fand sich nichts. Die Mutter entschied, zurück nach Schkölen zu gehen und in ein oder zwei Jahren zurück nach Burg zu kommen.

 

„In Schkölen besuchte ich dann erst einmal für zwei Jahre die Schule. Dann war eine andere Tante in Fischbach bei Kelkheim bereit, mich aufzunehmen.“ Am Bahnhof in Schkölen wurde Peter Fiedler einen Mann aus Okriftel anvertraut, der ihn in den Westen schleuste.

 

Mutter kommt nach

 

1949 kam dann auch seine Mutter nach in den Westen. „Sie kam über den gleichen Weg, den wir auch 1947 schon genommen hatten. Diesmal lief allerdings nicht alles so glatt.“ Nicht die östlichen Grenzposten waren das Problem, sondern die im Westen. Seine Mutter wurde fast wie eine Verbrecherin behandelt. Aber die Weiterreise gelang. Mit 65 durfte auch die Großmutter ausreisen. „Ich war nach der Grenzöffnung dreimal in Schkölen. Ich muss sagen, dass mich dort nichts mehr hinzieht. Meine Heimat ist woanders.“

 

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 22. Mai 2015

 

Heftiger Luftkampf über Idstein

 

Heinz Kegreiß war jüngster Gast auf dem Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservisten. Er wurde zwar 1933 in Stuttgart geboren, seine Familie zog aber schon 1939 nach Idstein um. Seine ersten Erinnerungen hat Heinz Kegreiß an das Jahr 1938. Damals hielt sich die Familie in Bürstadt auf, als die Nationalsozialisten in der Reichspogromnacht die Synagogen und jüdischen Kaufhäuser stürmten. „Ich war am nächsten Tag mit meiner Mutter auf dem Weg zur Gemeindewaschküche. Wir kamen an einem jüdischen Kaufhaus vorbei. Dort waren alle Möbel aus dem Fenster geworfen worden.“ Trotz seiner damals jungen Jahre weiß er noch wie heute: „Eine Frau kam uns entgegen und sagte: Wenn wir das noch einmal büßen müssen, geht es uns schlecht.“

 

Damals konnte keiner wissen, wie sehr sie Recht behalten sollte. 1939 kam dann schon der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. „Da wohnten wir schon in Idstein – ganz oben in der Bahnhofstraße. Als die allgemeine Mobilmachung befohlen wurde, sah ich nachts Männer zum Bahnhof laufen, um ihrem Gestellungsbefehl nachzukommen.“ Sein Vater blieb vorerst von einer Einberufung verschont. Im Jahr 1940 meldete er sich aber freiwillig. Und während der Vater nun im Krieg war, war Heinz Kegreiß der Mann zu Hause.

 

Zum Flieger hingelaufen

 

„Bei Fliegeralarm beobachtete ich immer die Flieger. Die flogen ja über Idstein nur hinweg, die Bomben waren für Wiesbaden, Mainz oder Frankfurt bestimmt. Einmal konnte ich beobachten, wie eine Me 262 fünf Bomber abgeschossen hat.“ Bei einem anderen Luftkampf stürzte ein amerikanisches Flugzeug nahe des Gassenbacher Hofes ab, ein deutsches Flugzeug musste hinter Dasbach notlanden. „Wir Jungs sind da natürlich hingelaufen.“ Manchmal kam es aber auch zu sogenannten „Notabwürfen“ über Idstein oder in der Nähe. „Einmal explodierte eine Luftmine – überall in Idstein gingen Fensterscheiben zu Bruch.“ Schließlich wurde auch Idstein zur Verteidigung vorbereitet. „Auf dem Rosenkippel gab es sechs MG-Stellungen. Und unter der Autobahnbrücke stand ein Lkw mit einer Vierlings-Flak.“

 

Gegen Kriegsende kamen die Tiefflieger-Angriffe. Am Idsteiner Bahnhof stand ein Güterzug mit Ersatzteilen für Flugzeuge. Zwölf Tiefflieger griffen den Zug an. „Wir Jungs haben das gesehen und uns zu dritt unter einem Baum versteckt. Die Flieger waren so tief, dass wir die Hautfarbe der Piloten erkennen konnten.“

 

Am 27.3.1945 standen dann die Amerikaner auf der Autobahn. Die Idsteiner wurden aufgefordert, ihre Stadt kampflos zu übergeben. Die Familie versteckte sich im Apfelweinkeller der Firma Merz – schließlich wusste man nicht, was passieren würde. „Als wir morgens aus dem Keller kamen, kamen uns schon die ersten Amerikaner entgegen.

 

Amerikaner in der Stadt

 

Meine Mutter hatte große Angst, ich eigentlich weniger.“ Die Amerikaner hatten Ihre Fahrzeuge auf der Freifläche der Familie Kappus in der Wiesbadener Straße (heute unterhalb Café Anna Blank) abgestellt. „Das war ja direkt in unserer Nähe. Da lernte ich einen Amerikaner kennen – Frank Field hieß er. Er war etwa 20 Jahre alt. Jeden Abend kam er uns besuchen und brachte mir Süßigkeiten mit. Wir hatten auch nach dem Krieg noch Kontakt, aber er ist dann in Vietnam gefallen.“ Heute lebt Kegreiß in Wörsdorf, doch im „Ruhestand“ ist er trotz seines Alters noch lange nicht. Noch immer ist er ein gefragter Werkzeugmacher.

 

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 8. Juli 2015

 

Als Soldat am Kriegsende bei Straßburg

 

Bei tropischen Temperaturen fanden sich über 20 Gäste in der Gaststätte „Ziegelhütte“ ein, um dem Zeitzeugen-Bericht von Kurt Grosbach zu folgen. Mit diesem Abend starteten die Idsteiner Zeitzeugenabende der Reservistenkameradschaft Idstein ins fünfte Jahr. Kurt Grosbach wurde am 30. Mai 1927 als mittlerer von drei Brüdern in Görsroth geboren. Ein Bruder war ein Jahr älter, der zweite Bruder erblickte erst 1937 das Licht der Welt.

 

Wie alle aus seinem Dorf war auch Kurt Grosbach bei der Hitler-Jugend. Sein Elternhaus war stark ideologisch geprägt, denn sein Vater Julius war nicht nur Parteimitglied, sondern auch NSDAP-Ortsgruppenleiter in Görsroth. Mit 13 ging Kurt Grosbach zur Feuerwehr. Nach der Schule machte Grosbach bei der Bäckerei Bucher in Idstein eine Lehre als Bäcker und Konditor. Anfang Mai 1944 legte er seine Gesellenprüfung ab. Noch in der gleichen Woche kam der Einberufungsbescheid. Erst ging es für drei Monate zum Reichsarbeitsdienst, dann als Soldat zur Wehrmacht.

 

Auf seine kurze militärische Grundausbildung von nur acht Wochen als Infanterist und Funker in Zweibrücken folgte ein Kampfeinsatz im Raum Straßburg/Metz. „Hier gehörte ich zur Kampfgruppe Koppitsch, geführt von Major Otto Koppitsch. Den nannten wir nur ,den kleinen General’. Noch bevor es an die Front ging, verletzte ich mich am Fuß und musste 14 Tage ins Krankenrevier. Als ich dann zu meiner Einheit kam, waren schon fünf aus meinem Jahrgang gefallen. Halb ausgebildet sollten wir voll einsatzfähig sein.“ Eines Tages brachen Amerikaner mit Spähwagen durch die Stellungen von Grosbachs Einheit. „Wir haben sie eingekesselt und gefangen genommen. Neun Amerikaner waren es, einer konnte etwas Deutsch. Der sagte ständig: ,Ihr gewinnt den Krieg‘. Das hat er bestimmt selbst nicht geglaubt, der hatte bloß Angst vor uns.“

 

Briefe kommen nicht an Nach Hause geschrieben und berichtet hat Kurt Grosbach immer wieder, angekommen ist kein einziger Brief. Dafür kam im Januar 1945 ein Telegramm von zu Hause: Sein älterer Bruder war bei den Kämpfen in der Gegend von Rom gefallen. Grosbach bekam fünf Tage Sonderurlaub und reiste nach Hause – der einzige Urlaub seiner Militärzeit. In Gefangenschaft geriet Kurt Grosbach dann wieder im Raum Straßburg/Metz. „Die Amerikaner hatten im Kampf gegen uns eine Strafkompanie eingesetzt. Es waren alles Farbige. Erst habe ich das nicht erkannt und ich dachte, sie hätten sich angemalt. Das waren harte Kämpfer.“ Seine Gruppe – acht Soldaten in seinem Alter geführt von einem Feldwebel – wurde von den Amerikanern gefangen genommen.

 

Es ging für sechs Wochen in ein Gefangenenlager der Amerikaner, bevor sie an die Franzosen übergeben wurden. In französischer Gefangenschaft ging es zunächst als Erntehelfer in die Region südlich von Paris. auf.“ Nach vier Jahren Gefangenschaft gelang dann endlich im Frühjahr 1949 die Flucht. Mit zwei Kameraden versteckte er sich in der Lok, die die Kohle aus dem Bergwerk abtransportierte. „Als ich in Görsroth ankam und die Tür zu unserem Hof öffnete, sagte meine Mutter: ,Hier wird nicht gebettelt!‘ Sie hat mich einfach nicht erkannt. Ich war spindeldürr und kahl geschoren.“

 

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 14. Juli 2015

 

Zeitzeugen stellen Buch vor

 

Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.“ Mit diesem Zitat des spanischen Philosophen George Santayana beginnt ein Buch mit Berichten von Zeitzeugen des Dritten Reiches, das von der Reservistenkameradschaft Idstein heraus gegeben worden ist.

 

Seit April 2011 veranstaltet die Kameradschaft in unregelmäßigen Abständen ihre Zeitzeugenabende. 29 Berichte von sieben Frauen und sechzehn Männern sind in dem 160 Seiten starken Buch mit dem Titel „Ich war dabei“ zusammengefasst, das nun im Idsteiner Gerberhaus vorgestellt wird. Auf gut einhundert Seiten enthält es Kapitel mit Titeln wie „Als Wachposten in der Nacht zum D-Day“, „20 000 Kronen für die Freiheit“ oder „Ein Fallschirm wird zum Hochzeitskleid“. Ergänzt werden sie mit Porträtfotos der Zeitzeugen damals und heute sowie umfangreichem Bildmaterial des Bundesbildarchivs. Der zweite Teil des Buches umfasst Anlagen wie Briefe, Dokumente oder einen Tagebuchauszug mit Kriegserlebnissen ab 1941.

 

„Uns ging es von Anfang an nicht darum, Heldengeschichten zu hören. Uns ging es darum zu hören: Wie war es?“, erläutert Co-Autor Jörg Fried. Schließlich hätten die Menschen im nationalsozialistischen Deutschland ein Leben mit ganz normalen Sorgen des Alltags gehabt. „Aber auch mit Sorgen und Ängsten, die wir uns nicht vorstellen können und hoffentlich niemals spüren müssen“, fügt er hinzu. Gemeinsam mit Co-Autor Klaus Bücher, mit dem er die Zeitzeugenabende organisiert, hat er die dabei entstandenen Mitschriften für das Buch bearbeitet, die dann noch einmal von den Zeitzeugen Korrektur gelesen worden sind. Mehr als ein Dutzend von ihnen gehören zu den mehr als 50 Gästen bei der Vorstellung des Buches, das zunächst in einer Auflage von 300 Exemplaren in einer Internet-Druckerei produziert worden ist. „Es geht nicht um Sensationen, sondern um eine gelebte Epoche unserer Geschichte“, betont Idsteins erster Stadtrat Felix Hartmann in seinem Grußwort. Da die meisten der Zeitzeugen aus dem Idsteiner Land stammen, sind auch die Bürgermeister von Niedernhausen und Hünstetten zu der Veranstaltung erschienen. „Es ist wichtig, dass die Mütter- und Vätergeneration ihr Vermächtnis hinterlassen kann“, unterstreicht Brigadegeneral Eckart Klink, Kommandeur des Landeskommandos Hessen, die Bedeutung des Buches. Die Reihe der Zeitzeugenabende wird fortgesetzt. Erst im Januar ist mit der 95-jährigen Erna Christmann die bislang älteste Zeitzeugin zu Gast gewesen. Und so besteht die Hoffnung, dass in ein paar Jahren noch ein weiterer Band mit ganz persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen veröffentlicht werden kann.

 

Das Buch mit dem Titel „Ich war dabei“ ist zum Preis von 15 Euro in der Buchhandlung Schneider in der Limburger Straße 9 in Idstein erhältlich. Außerdem kann es zuzüglich Versandkosten unter E-Mail bestellung@rk-idstein.de geordert werden. Der Reinerlös soll dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gespendet werden.

 

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 25. August 2015

 

Beim Kampfgeschwader 76

 

Mit über 40 Gästen war der jüngste Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservisten sehr gut besucht. Der 93-jährige Willi Foth aus Limbach berichte, wie es ihn von seinem Heimatort Alfonshof in Westpreußen nach Limbach im Taunus verschlug. Als er 1922 geboren wurde, lag seine Heimat im polnischen Korridor zwischen Ostpreußen und Pommern – etwa 70 Kilometer von Danzig entfernt und 30 Kilometer von der polnisch-deutschen Grenze. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs war dies deutsches Reichsgebiet. So lebten hier auch nur Deutsche, alle sprachen deutsch. „Als ich dann in die Schule kam, musste ich dort – wie alle anderen auch – polnisch sprechen. Das habe ich dann erst dort gelernt.“

 

Dann kamen der Kriegsbeginn und der Einmarsch der Deutschen in Polen. „Da wir nahe an der Grenze lagen, war die Wehrmacht bald bei uns. Alle waren begeistert – wir waren ja alle Deutsche.“ Im Dezember 1940 wurde Willi Foth gemustert – „kriegsverwendungsfähig“ lautete das Ergebnis. So ging es zuerst einmal zum Reichsarbeitsdienst (RAD) nach Teplitz-Schönau. Weiter ging es für zwei Wochen nach Danzig und dann weiter nach Heiligenbeil an der Ostsee. „Hier gab es einen Militärflugplatz, an dem wir Flak-Stellungen betonieren mussten. In unserer Freizeit gingen wir an die Ostsee zum Baden.“

 

Badeverbot an der Ostsee

 

Am 21. Juni 1941 gab es dann plötzlich Badeverbot. „Am nächsten Tag wussten wir warum: Die Flieger starteten Richtung Osten – der Russlandfeldzug begann.“ Am 28./ 29.11.1941 ging es wieder zurück nach Teplitz-Schönau, wo Foth dann aus dem RAD entlassen wurde. Zuhause angekommen erreichte ihn die Einberufung zur Wehrmacht. Zum Jahresbeginn 1942 rückte er beim Flug-Ausbildungs-Regiment 14 in Klagenfurt ein. Nach der Ausbildung wurde er zum Kampfgeschwader 76 versetzt. Es ging für Foth nach Orleans, südlich von Paris. Hier wurde er als Bordschütze für den Einsatz auf einer Junkers Ju-88 ausgebildet. Dann wurde er Ausbilder in Toulouse. Später ging es mit dem KG 76 nach Finow bei Eberswalde. „Hier wurden wir mit der Arado AR-234 ausgestattet – dem ersten strahlgetriebenen Bomber der Welt. Immer wieder versteckten wir die Maschinen am Boden, immer wieder kamen Tieffliegerangriffe. „Ich erinnere mich noch an den ersten Angriff mit einer Lockheed Lightning – einer Doppelrumpf-Maschine. So eine hatten wir bis dato noch nicht gesehen, alle standen wir vor der Flugzeughalle und schauten nach oben. Da klinkte die Maschine auch schon ihre Bombe aus. Sie verfehlte die Halle und schlug daneben ein. Diesen Knall werde ich nicht vergessen.“ Bis heute ist Willi Foths Gehör beeinträchtigt. Gegen Kriegsende floh Foths Einheit über Budweis nach Linz. „Hier wurden wir von einer SS-Einheit angehalten und entwaffnet. Sie meinten: ‘Ihr braucht keine Waffen mehr. Wir fahren zur Front, wir brauchen sie!’“ Bei Wels geriet er mit seinen Kameraden in Gefangenschaft. Vier Tage wurden sie in einer Schule untergebracht. Weiter ging es von Wels nach Lambach.

 

„Ein Kamerad aus Panrod hat gesagt, ich solle nach Michelbach fahren. Dort gäbe es immer Arbeit in der Eisenhütte.“ So verschlug es ihn in den Taunus, hängen geblieben ist er in Limbach. Seine Heimat in Westpreußen hat Willi Foth nie mehr besucht. „Das wollte ich nicht, ich wollte es in Erinnerung behalten, wie ich es kannte.“ 70 Jahre lebt Willi Foth nun schon in Limbach – umgeben von seiner großen Familie.

 

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 23. September 2015

 

Zeitzeuge Walter Ulrich berichtet über seine Zeit als Marine-Soldat im Zweiten Weltkrieg

 

Geboren wurde Walter Ulrich am 17.11.1921 in der noch jungen Weimarer Republik. Prägen sollte ihn allerdings die Zeit des Nationalsozialismus. Walter Ulrich kam in Strintz-Trinitatis zur Welt. Mit zehn Jahren ging es zum Jungvolk. „Wir machten in dieser Zeit viele Ausflüge“. erzählt Ulrich. „Für uns Kinder war das toll.“ So ging es unter anderem zu den Karl-May-Festspielen. Später gehörte er der Hitlerjugend an. Als ihn auf der Bannführerschule die Nachricht vom Ausbruch des Krieges erreichte, meldete er sich sofort, mit 18 wurde er im zweiten Anlauf genommen. „Mein Vater war Soldat im Ersten Weltkrieg und über meine Entscheidung entsetzt. Aber so waren wir im Nationalsozialismus nun einmal erzogen.“

 

Er kam zur Luftwaffe in die Nähe von Schleswig, wo er seine Ausbildung machte. Von dort ging es weiter nach Antwerpen. Von Antwerpen wurde seine Einheit auf die Krim verlegt. Weiter ging es über das Schwarze Meer bis zur Halbinsel Taman. Mit den Booten transportieren sie Soldaten von großen Schiffen an Land. „Die Russen hatten den ganzen Strand vermint. Von 100 Soldaten, die wir am Stand absetzten, überlebte nur die Hälfte.“ Auch Ulrich wurde verwundet, als sein Boot auf eine Seemine fuhr „Die hinten im Boot waren sofort tot.“ Er kam für drei Monate ins Lazarett nach Schessow, am 20. Dezember 1942 durfte er auf Genesungsurlaub nach Hause. „Das war mein Glück. Die Russen hatten das Lazarett eingenommen und hausten übel.“ Die verwundeten Soldaten wurden alle erschossen. Die Schwestern hängte man an den Beinen außen an den Fenstern auf und übergoss sie mit Wasser. „Bei tiefsten Minusgraden erfroren sie jämmerlich.“ Von der Krim kam Ulrich über Sizilien und Niederschlesien nach Le Havre. Hier geriet Ulrich dann im September 1944 in amerikanische Gefangenschaft. „Wir saßen unten in einem Bunker und haben uns mit einem 18-Zentimeter-Geschütz verteidigt. Die über uns hatten schon die weiße Fahne gehisst.“ Plötzlich habe ein Offizier geschrien: „Wer jetzt noch schießt, wird von mir erschossen!“

 

Nach sechs Wochen kam er nach Colchester in englische Gefangenschaft. 1948 wurde er schließlich entlassen. Er begann, wieder bei seinem Vater in der Schneiderei zu arbeiten.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 4. November 2015

 

Ich stand am Zaun der Weltgeschichte

 

Karl Heinz Schmidt zu Gast beim Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservisten

„Ich war nicht dabei, eher würde ich sagen: Ich stand am Zaun der Weltgeschichte. Der Krieg war für uns ein großes Abenteuer“, begann Karl Heinz Schmidt seinen Vortrag am Idsteiner Zeitzeugenabend der Reservistenkameradschadt Idstein. Geboren wurde er 1930 in Bad Schwalbach. Hier kam er 1936 in die Schule, ab 1942 besuchte er das Gymnasium in Wiesbaden.

 

Eine Uhr zum Geburtstag

 

 „Zu meinem 10. Geburtstag bekam ich eine Armbanduhr geschenkt – das war etwas Besonderes. Ab da fing ich an, in meinem Taschenkalender ganz genau einzutragen, wann es in Bad Schwalbach Fliegeralarm gab.“ Wahrscheinlich ist dies das einzige Dokument seiner Art, das genau Auskunft über die Alarme in Bad Schwalbach geben kann. „Mit Kriegsbeginn 1939 machte sich der Krieg auch schon in Bad Schwalbach bemerkbar. Überall waren Soldaten. Der Sportplatz war belegt mit großen Waffen und im Kurhotel residierte der Stab, der die Maginotlinie angreifen sollte.“ Auf den Anhöhen um Bad Schwalbach standen Flak-Geschütze, die den Stab schützen sollten. „Nach acht Wochen wurden sie wieder abgezogen, da man merkte, dass keine Gefahr drohte“, so Schmidt. Viel Propaganda wurde in dieser Zeit betrieben. So wurde behauptet, dass Kartoffelkäfer über Deutschland abgeworfen würden, um die Ernte zu schädigen. „Also mussten wir als Schüler raus auf die Felder und Kartoffelkäfer sammeln.“

 

Dann kam der 20. Juli 1944 – der Tag des Attentats auf Adolf Hitler. „Ich war unterwegs zu meinem Onkel nach Bad Nauheim. Dorthin fuhr ich öfter zum Hamstern – also um Lebensmittel zu besorgen. Auf der Fahrt wurde der Zug beschossen, wir versteckten uns unter den Waggons.“

 

Das Radio lief immer

 

Als Schmidt in Bad Nauheim ankam, stand eine Rauchwolke über der Stadt. Bad Nauheim war angegriffen worden. Überall war die Feuerwehr im Einsatz, viele Häuser brannten. Als er seinen Onkel erreicht hatte, lief wie immer das Radio.

 

Das Radio lief ständig wegen der Luftlagemeldungen. Plötzlich kam eine Sondermeldung, die etwa lautete, dass ein Attentat auf den Führer verübt worden sei, er dieses aber unversehrt überlebt habe.“ Zu dieser Zeit war in Bad Nauheim auch ein weiterer Onkel zu Gast, den man nur den Mecklenburger Onkel nannte. „Es passierte etwas, das ich noch nie erlebt hatte. Der Mecklenburger Onkel schlug auf den Tisch und schrie: So ein Unglück, dass es den Lump nicht erwischt hat. Dem haben wir doch den Krieg zu verdanken.“

 

Schließlich kam für Schmidt noch die Einberufung zum Schanzeinsatz. Am 24. März 1945 ging es nach Hahn. Dort folgte am nächsten Tag die Verpflichtung auf den Führer. Es folgte der Einsatzbefehl: am 28. März Meldung in Idstein. Dann ging es erst einmal zurück nach Bad Schwalbach. Noch bevor sich Karl Heinz Schmidt auf den Weg machen konnte nach Idstein, rückten am 27. März die Amerikaner in Bad Schwalbach ein. Der Krieg war für ihn aus. Doch der Bericht von Karl Heinz Schmidt ist noch lange nicht beendet. Sicher wird er an einem der folgenden Zeitzeuge-Abende erneut zu Gast sein und von den Nachkriegszeiten in Bad Schwalbach berichten.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 16. Dezember 2015

 

Das brennende Warschau in Sichtweite

 

Werner Bingel aus Holzhausen berichtet über seine Erlebnisse als Soldat

 

Letzter Gast für dieses Jahr in der Reihe „Zeitzeugen berichten“ der Idsteiner Reservistenkameradschaft war Werner Bingel aus Holzhausen über Aar. Bereits im Dezember 1941 wurde Werner Bingel zur Wehrmacht eingezogen und kam nach Arlon in Belgien. Hier blieb er mit seiner Einheit bis zum Januar 1942, dann wurde nach Luneville in Lothringen nahe Nancy verlegt.

 

Über ein Jahr bleib Werner Bingel dort mit seiner Einheit stationiert. Erst im März 1943 hieß es, Abschied nehmen. Nach einem etwa zehntägigen Aufenthalt in Carcassonne in Südfrankreich ging es per Zug auf die Krim. Über Odessa ging es nach Feodossija. „Hier lagen wir am Meer. Mit den Pferden konnten wir direkt ins Wasser – das war angenehm.“ Dann begann im September 1943 der Rückzug der deutschen Wehrmacht. Jede Nacht ging es 20 bis 30 Kilometer zurück. „Der Rückzug wurde immer durch die 1. Kompanie gedeckt. Die blieb bis 22 Uhr und schoss.“ Zurück ging es über den Dnjepr. Bingels Einheit gelang es, sich über den Dnjepr abzusetzen. Beim Trinken am Fluss gab es eine Explosion, eventuell hatte sich eine Handgranate gelöst und war explodiert. Bingel wurde verletzt. Zur Genesung kam er nach Ohrdruff in Thüringen. Hier blieb er bis kurz vor Weihnachten 1943. „Dann durfte ich vier Wochen Urlaub nehmen, sodass ich erst Anfang 1944 zurück zur Truppe musste.“ Dann ging es in ein Ausbildungslager nahe Koblenz, anschließend kam er nach Konitz in Westpreußen. Als dann der Warschauer Aufstand losbrach, wurde Bingel Richtung Warschau verlegt. „Wir blieben nördlich des Narew, aber wir sahen das brennende Warschau. In die Kämpfe griffen wir nicht ein. Wahrscheinlich waren wir als Reserve verlegt worden.“

 

Mehrfach verwundet

 

Bei Modlin wurde Bingel dann Ende 1944 erneut verwundet. Er kam nach Marienwerder in Westpreußen in ein Lazarett und durfte auch die Jahreswende 1944/1945 wieder mit Urlaub zu Hause verbringen. Am 19. Januar 1945 kam Werner Bingel dann in Neubrandenburg zum Einsatz. Bei einem Granateinschlag wurde er erneut verwundet. Ein Granatsplitter traf ihn an der rechten Hüfte. Er kam in ein Lazarett in Burgstädt knapp 70 Kilometer von Dresden entfernt. Es war Anfang Februar 1945. „Hier erlebte ich den großen Angriff auf Dresden. Immer und immer wieder gingen wir in den Keller.“

 

Flüchtlingstrecks beschossen

 

Gegen Kriegsende wurde er zur Heeresentlassungsstelle 1/X in Hamburg in Marsch gesetzt. Auf dem Weg dorthin traf er viele Flüchtlingstrecks. „Ständig kamen die englischen Jagdbomber. Die haben auf alles geschossen, was sich bewegt. Es war doch klar, dass das Flüchtlinge waren. Aber das interessierte die nicht.“

 

Als er in Hamburg ankam, rechnete man stündlich mit dem Einmarsch der Briten. „Es kam die Anweisung: Das Tragen von bürgerlicher Kleidung ist gestattet. Wir bekamen unsere Entlassungspapiere, und am nächsten Morgen um 5 Uhr waren die Briten da.“ Es war der 3. Mai 1945.

 

Heute ist Bingel fast der Letzte seines Jahrgangs in Holzhausen. Den Granatsplitter in der Hüfte hat er übrigens noch immer.

 

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