Pressespiegel 2012

 

26. Januar 2012 : Statt Urlaub Strafwache

2. Februar 2012 : Die Erinnerung wach halten

2. März 2012: Wilhelm Löw berichtet beim Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservistenkameradschaft

4. Juni 2012: Die Kugel im Heiligenbildchen

23. Juni 1012: Zeitzeugen-Abend Idstein: Flucht mit kleiner Tochter

2. August 2012: Den Granatsplitter noch im Nacken

26. Oktober 2012: Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservistenkameradschaft mit Erika Steinberger

20. Dezember 2012: „Endlich ist das vorbei“

 

 

werbul1d Idsteiner Zeitung, 26. Januar 2012

 

Statt Urlaub Strafwache

ZEITZEUGEN Wilhelm Velten berichtet von Kriegserlebnissen bei den Reservisten

Interessant begann für die Idsteiner Reservisten das Jahr 2012. Zum ersten Kameradschaftsabend im Januar war Dr. Wilhelm Velten aus Niedernhausen in der Reihe „Zeitzeugen berichten“ eingeladen. Vielen ist Dr. Velten noch als Lehrer am Idsteiner Pestalozzi-Gymnasium bekannt. Nicht nur einen Zeitzeugen hatte man damit als Referenten gewonnen, sondern einen echten Fachmann auf dem Gebiet der Militärgeschichte. 1974 veröffentlichte Dr. Velten ein Buch über die Geschichte der 65. Infanteriedivision, der er im Zweiten Weltkrieg angehörte, und 1983 promovierte er über die „Deutsche Militärgeschichte der Zwischenkriegszeit“.

Velten – Jahrgang 1924 – wurde im Januar 1943 zur Wehrmacht eingezogen, nachdem er im September 1942 bereits das Gymnasium mit dem mit dem "Vorsemestervermerk“ (berechtigte zum Studium an einer Hochschule) verlies und in ein Wehrertüchtigungslager kam.

Seine Ausbildung bei der Wehrmacht absolvierte Dr. Velten in Diedenhofen in Lothringen. Noch gut erinnert er sich an die Begrüßung durch seinen damaligen Vorgesetzten: „ Sie werden sich wundern, was ein junger Mensch aushalten kann“. Erst am Kriegsende sollte Wilhelm Velten die ganze Bedeutung dieses Satzes erkennen.

Die Ausbildung in Diedenhofen kam einer regulären Grundausbildung gleich. Morgens ging es ins Gelände, nachmittags kam Kasernendrill. „Schon gleich am Anfang hatte ich die Schnautze voll von der deutschen Wehrmacht“, so Dr. Velten. In dieser Zeit ereilte ihn auch die Nachricht vom Tod seines Bruders Johann, der in Russland gefallen war. Seine Schwester Resi schrieb im Auftrag der Mutter an die Kompanie und bat um Urlaub. Urlaub bekam Velten nicht – Begründung: „Ihre Mutter ist ja nicht allein, Ihre Schwester ist ja da. Dann brauchen Sie auch keinen Urlaub“.

Als Abiturient sollte Velten nach erfolgreicher Prüfung die Offizierslaufbahn einschlagen und Berufsoffizier werden – er lehnte dankend ab. Als seine Schwester heiratete, bat Velten erneut um Urlaub. Für diese „Unverschämtheit“ bekam er zwei Wochen Strafwache.

Mitte Juli 1943 war die Ausbildung zu Ende und es ging zur Einsatztruppe – zur 65. Infanteriedivision. In Darmstadt wurden alle eingekleidet, dann ging es mit dem Zug weiter – Ziel „unbekannt“. Beim Reiterzug 145 eingesetzt kam Velten  über Villach in Kärnten über den Brenner nach Forli in Italien. Hier erlebte Velten auch die Kapitulation der Italiener und die Landung der Alliierten in Italien. „Alle kamen auf uns zu und riefen ‚Pace’ – ‚Frieden’. Für uns bedeutete das natürlich keinen Frieden. Ab sofort wurde befohlen: Wir mussten ständig unsere Waffen fertig geladen bei uns haben.“ Nun ging es darum, die so genannte „Gustav-Linie“ 100 km südlich von Rom zu sichern, um die Alliierten am Vormarsch zu hindern. Hier erlebte seine Einheit nach der Aussage von Dr. Velten „ein Fiasko“. Dann begann der Rückzug bis nach Genua. Fest im Gedächtnis sind Velten die Weihnachtstage 1943. „Plötzlich gab es warmes Essen sowie pro Mann eine halbe Flasche Glühwein und etwas Wurst“. Weihnachtsstimmung sei aber nicht aufgekommen. „Wenn andere berichten, an Weihnachten seien Kerzen aufgestellt und Lieder gesungen worden, so kann ich für uns sagen: Das war nicht so“. Noch bevor man das warme Essen einnehmen konnte, kam der Befehl „Reiterzug abrücken!“. „Schnell wurde das, was wir hatten, herunter geschlungen.“

In Genua erreichte die Truppe die Nachricht, dass die Alliierten südlich von Rom gelandet waren. „Von uns rechnete niemand damit, dass unsere ausgelaugte Division in den Kampf geworfen werden sollte“. Doch es sollte anders kommen, die kommenden Tage sollten das Leben von Wilhelm Velten grundlegend ändern.

Durch die lebhaften Darstellungen von Dr. Wilhelm Velten verging die Zeit an diesem Kameradschaftsabend der Idsteiner Reservisten wie im Flug. Viele Details konnte Velten nennen, ohne die Zuhörer zu langweilen. Auch seine Frau Irma, die ihn an diesem Abend begleitete, konnte die Zuhörer immer wieder mit „Geschichten aus der Heimat“ fesseln. Der zweite Teil der „Kriegserlebnisse eines Unfreiwilligen“ – wie Velten es selbst nennt -, in dem Velten von seiner Verwundung und der Odyssee durch verschiedene Lazarette berichtet, wird im Sommer im Rahmen der „Zeitzeugen“-Abende der Idsteiner Reservisten stattfinden. Dazu wird rechtzeitig eingeladen.

Den nächsten Abend in der Reihe „Zeitzeugen berichten“ haben die Reservisten für den 23. Februar geplant. Gast an diesem Abend ist Wilhelm Löw (Jahrgang 1928). Er stammt ursprünglich aus dem Sudetenland und wird neben den Berichten aus seiner Militärzeit auch von Flucht und Vertreibung erzählen.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 2. Februar 2012

 

Die Erinnerung wach halten

NEUJAHRSEMPFANG Die Reservistenkameradschaft hat auch 2012 viel vor / Ehrungen verdienter Mitglieder

„Die erste Pflicht eines Bürgers ist, seinem Vaterland zu dienen.“ Mit diesem Zitat aus dem politischen Testament Friedrichs des Großen begrüßte Sven Abschinski, Vorsitzender der Reservistenkameradschaft Idstein, zum traditionellen Neujahrsempfang. Neben den Mitgliedern waren Bürgermeister Gerhard Krum und viele Vertreter befreundeter Kameradschaften und Organisationen der Einladung gefolgt.

Bezugnehmend auf das einleitende Zitat bedauerte Abschinski, dass diese Pflicht - sei es im Rahmen der Wehrpflicht oder des Zivildienstes - im vergangenen Jahr in Deutschland abgeschafft wurde. Umso mehr seien die Menschen zu loben, die sich freiwillig für einen Dienst in der Bundeswehr oder im Bundesfreiwilligendienst engagieren. Doch nicht nur die aktive Truppe sei von Reduzierung und Standortschließungen betroffen. Auch die Reservisten treffe die Strukturreform, da Unterstützungen durch die Truppe auf ein Minimum zurückgefahren werden müsse. „Uns betrifft hier besonders die Schließung der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Diez“, so Abschinski.

So wurden die Idsteiner 2011 von der Bundeswehr mit Fahrzeugen und Fahrern aus Diez bei ihrem Arbeitseinsatz mit dem Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge auf einem Soldatenfriedhof in Belgien unterstützt - einem der Höhepunkte für die Reservistenkameradschaft im vergangenen Jahr.

Weiterhin verwies der Vorsitzende stolz auf die neuen Zeitzeugen-Abende. „Wir sind eine Armee auf der Grundlage der Demokratie. Nie wieder darf sich eine deutsche Armee so instrumentalisieren lassen wie im Dritten Reich.“ Man müsse auf die Menschen hören, die Grauen und Schrecken des Krieges erlebt hätten. „Wir laden Menschen ein, um uns von ihren Erlebnissen in der Vorkriegs- und Kriegszeit des Zweiten Weltkrieges zu berichten. Nur so können wir versuchen zu verstehen, was damals warum geschah. Nur so können wir die Erinnerung wach halten und verhindern, dass solche Zeiten wiederkommen.“

Für 2012 stehen auch wieder - neben dem „Tagesgeschäft“ wie der Pflege der Idsteiner Kriegsgräberstätte, dem Fest der Vereine und der Sammlung für den Volksbund - zwei große Unternehmungen an. Zum einen sind die Idsteiner eingeladen, als offizielle Vertreter der deutschen Reservisten an der Wiedereinweihung eines deutschen Soldatenfriedhofes des Ersten Weltkrieges in Belgien teilzunehmen. „Das ist eine große Ehre für uns“, so Abschinski. Zum anderen ist im Mai eine Exkursion zu den Bunkeranlagen des ehemaligen Westwalls geplant. „Und auch unsere Kameradschaftsabende werden wieder mit interessanten Inhalten gefüllt sein“, schloss Abschinski. Dann ehrte er das fördernde Mitglied Wolfgang Heuss und den Fahnenjunker d.R. Wolfgang Fried für zehnjährige Mitgliedschaft im Verband mit Urkunden.

Bürgermeister Krum nutzte die Gelegenheit, um den Reservisten für ihr umfangreiches Engagement zu danken. Auch er blickte kritisch auf die Aussetzung der Wehrpflicht und bezweifelte, ob dies der Demokratie gut tue. Im gleichen Zuge forderte er einen „gesunden Patriotismus“ als scharfe Abgrenzung zu den aufkeimenden nationalsozialistischen Strömungen. „Nur wenn unser Vaterland uns etwas wert ist, setzen wir uns auch dafür ein - auch für die demokratische Grundordnung“, so Krum.

Schließlich übergab Sven Abschinski das Wort an den Beauftragten des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge, Oberst a.D. Unruh - in Idstein bekannt als ehemaliger Kommandeur des Idsteiner Patenbataillons aus Diez. Er war gekommen, um die Reservisten mit Urkunden des Volksbundes für ihren Einsatz im vergangenen Jahr auszuzeichnen. „Es war ihr sechster Einsatz für den Volksbund. Das ist schon etwas Besonderes und man kann wohl sagen: Ihre Einsätze sind inzwischen guter Brauch.“ Solche freiwilligen Einsätze seien für den Volksbund sehr wichtig, da dieser - obwohl er hoheitliche Aufgaben erfülle - seine Arbeit zum größten Teil aus Spenden finanziere.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 2. März 2012

 

Wilhelm Löw berichtet beim Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservistenkameradschaft

„In diesem Jahr darf ich endlich wieder einmal Geburtstag feiern“, sagt der am 29. Februar 1928 geborene Wilhelm Löw mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Seine Fröhlichkeit hat er sich trotz aller Schrecken des Krieges und der Nachkriegszeit bewahrt, von denen er beim Zeitzeugen-Abend der Idsteiner Reservistenkameradschaft berichtete.

Löw stammt aus dem Sudetenland, genauer aus dem Dorf Maria-Kulm nahe Eger. Hier erlebte er 1938 den Anschluss an das Deutsche Reich. Als 16-jähriger kam Löw dann in ein Wehrertüchtigungslager nach Teplitz-Schönau. SSAngehörige kamen und warben ihn für den freiwilligen Dienst in der SS. Am 13. Januar 1945 wurde er eingezogen und kam nach Franken.

Sein Leben hing an einem seidenen Faden

Löw kam nach Euerbach bei Schweinfurt. Drei Monate versah er dort seinen Dienst. Neben dem Dienst am Geschütz mussten sie zu Fuß Munition herbeischaffen. Zu essen gab es wochentags Pellkartoffeln, samstags Erbsensuppe und sonntags Salzkartoffeln. Sein eindringlichstes Erlebnis hatte Löw am 6. April, als sein Leben an einem seidenen Faden hing. „Ich lag zum Schlafen in unserem betonierten Unterstand, als unser Vorgesetzter rief: „Sofort aufstehen und raus, wir werden von amerikanischer Artillerie beschossen!“ Kurz nach dieser Aufforderung erhielt der Unterstand einen Volltreffer. Die Decke stürzte ein und erschlug drei Kameraden, die einen halben Meter neben Löw geschlafen hatten. Er selbst kam mit einigen Prellungen davon.

Am 8. April sprengte Löws Einheit das Flak-Geschütz, und sein Einheitsführer schickte die jungen Flakhelfer mit den Worten „schaut, dass ihr nach Hause kommt“ weg. Am 16. April erreichte Löw sein Heimatdorf Maria-Kulm. Skurril erscheint heute die Situation beim Einmarsch der Amerikaner: Mit Hitlergruß und der Meldung „Wir übergeben das Gewehr“ meldeten die Männer den Amerikanern, die sie dann nach Hause schickten.

Nach Abzug der amerikanischen Armee wurden die Deutschen massiv benachteiligt. „Im April 1946 wurden dann die ersten Deutschen aus unserem Dorf vertrieben“, so Löw. Die Deutschen, die nicht vertrieben wurden, weil man sie als Arbeitskräfte brauchte, galten als staatenlos. Insgesamt rund 200 000 Deutsche wurden zurückgehalten, da man sie unter anderem - wie Löw - im Bergbau brauchte.

1953 erhielten die verbliebenen Deutschen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft - und Wilhelm Löw wurde sofort für die Armee gemustert. Sein „zweiter Wehrdienst“ führte ihn nach Mahrisch-Ostrau. In den Folgejahren wurden die immer wieder gestellten Ausreiseanträge jedes Mal abgelehnt. Erst 1967 während des Prager Frühlings wurde der Ausreise von Löw und seiner Familie zugestimmt. Mit 20 000 Kronen mussten sie sich freikaufen.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 4. Juni 2012

 

Die Kugel im Heiligenbildchen

GESCHICHTE Dr. Wilhelm Velten beim Zeitzeugen-Abend der Reservisten

Nachdem Dr. Wilhelm Velten aus Niedernhausen bereits im Januar Gast der Idsteiner Reservisten im Rahmen der Zeitzeugen-Abende war, setzte er nun den Bericht seiner Kriegserlebnisse fort. Fortsetzung fand sein Bericht bei der Verteidigung gegen die Landung der Alliierten am 22. Januar 1944 bei Anzio südlich Rom. Durch diese Landung im Rücken der deutschen Truppen sollte der Sperrriegel entlang der sogenannten „Gustav-Stellung“ umgangen werden. Innerhalb von drei Tagen landeten die Alliierten hier rund 500000 Mann und 5000 Fahrzeuge. Verzweifelt versuchten die Deutschen, den Brückenkopf abzuriegeln und die Alliierten zurückzudrängen.

Zu den dort eingesetzten Truppenteilen gehörte auch Veltens Einheit. Als die Alliierten einen Keil nach Genzano vortrieben, sollte dieser Keil durch deutsche Truppen abgeschnitten werden. In einem Nachtangriff gelang dies auch. „Das war nur nachts möglich, tagsüber kamen feindliche Flieger. Von unseren Fliegern war weit und breit nichts zu sehen. Der Anblick des Schlachtfeldes bei Tag war grausig - überall lagen tote Deutsche, Amerikaner und Kanadier herum.“ Als die Deutschen die Nachschublager der Alliierten einnahmen, blieb ihnen „die Spucke weg“, so Velten. „Wie erbärmlich waren wir gegenüber den Alliierten ausgerüstet“.

Offenheit wird geschätzt

Seine Aufgabe in diesen Tagen war das Gespräch mit Kriegsgefangenen - „weil ich gut Englisch konnte, und weil mancher Soldat einem einfachen Landser mehr erzählte als einem Offizier“. Doch an einen Sieg glaubte Velten schon damals nicht mehr. Als er eines Abends in einem Schützenloch saß, kam ein anderer Soldat und frage ihn, wie er die Lage einschätze. „Offen und ehrlich sagte ich: Ich sehe das pessimistisch, auch nach den Erfahrungen am Sangro. Dann gab sich mein Gegenüber als mein Bataillonskommandeur Oberst Kühl zu erkennen.“ Dieser schätze die Offenheit und sorgte so auch dafür, dass Velten zum Gefreiten befördert wurde.

Ein Erlebnis, das die Menschlichkeit inmitten des Grauens zeigt, blieb Velten besonders in Erinnerung. Während eines Gefechts verirrte sich ein alliiertes Sanitätsfahrzeug hinter die deutschen Linien und der Fahrer war völlig überrascht, als er von deutschen Soldaten angehalten wurde. „Aber als er sah, dass wir Verletzte hatten, lud er die Soldaten auf, brachte sie zu unserem Verbandplatz und kehrte unbehelligt hinter die eigenen Linien zurück. Auch so etwas geschah im Krieg.“

Am 14. Februar starteten die Deutschen dann eine groß angelegte Gegenoffensive, die vier Tage dauern sollte. Aber vor allem durch die erdrückende Luftüberlegenheit der Alliierten - „deutsche Flieger waren einfach keine da“ - misslang das Unternehmen. In den Folgemonaten beschränkte man sich auf einen Stellungskrieg, der erst im Mai 1944 mit dem Durchbruch der Alliierten enden sollte.

Im Mai - genau am 22. Mai 1945 - war es auch, als Velten im Gefecht eine wundersame Bewahrung erfuhr. Im Gefecht verspürte er plötzlich einen Schlag an die Brust. Ein Querschläger traf ihn und blieb in seinem Soldbuch und einem Heiligenbildchen stecken. Dieses Bildchen hatte Velten von einer Italienerin geschenkt bekommen, bei der seine Einheit einquartiert war. „Sie sagte damals, es solle mich beschützen, damit ich lebend in die Heimat zurückkehre. Und das hat es ja dann auch getan“. Leider kam ihm dieses Bild später bei einem Lazarett-Aufenthalt abhanden. Dazu kam es, als Velten bei Rom dann doch noch verwundet wurde.

Das umfangreiche Wissen und die Kunst, die Zuhörer zu fesseln, begeisterten die Gäste erneut. So wird es noch einen dritten Zeitzeugen-Abend mit Dr. Wilhelm Velten im Herbst geben, bei dem er seine Erzählung fortsetzen wird.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 23. Juni 2012

 

Zeitzeugen-Abend Idstein: Flucht mit kleiner Tochter

Ganz still war es in der Runde der zahlreichen Zuhörer, als Johanna Tobias am ihren Zeitzeugen-Bericht begann. Erstmals war es den Idsteiner Reservisten gelungen, eine Frau als Gast für ihren Zeitzeugen-Abend zu gewinnen. Es waren diesmal nicht die Berichte von lautem Granatfeuer und den Leiden der Kriegsgefangenschaft, sondern die stille Erzählung einer Mutter, die sich und ihre Tochter Anfang 1945 aus Breslau vor den anrückenden Russen rettete.

Wie viele andere Mütter mit kleinen Kindern - ihre Tochter Heidi war gerade elf Monate alt - war Johanna Tobias (Jahrgang 1922) zum Schutz vor feindlichen Bomberangriffen aus der Großstadt Breslau auf das Land evakuiert worden.

Nicht mehr sicher

In Koitz - etwa 45 Kilometer nordwestlich von Breslau - fanden sie Unterkunft. Doch als Anfang 1945 die Ostfront näher rückte, war man auch hier nicht mehr sicher. „Ich hatte gerade eine heftige Erkältung überstanden und noch Fieber, aber ich musste mich mit meiner Tochter auf den Weg nach Westen machen. Ich packte sie in den Kinderwagen und hoffte, zu Fuß beim minus 25 Grad und tiefem Schnee den nächstgelegenen Bahnhof in Parchwitz etwa sechs Kilometer entfernt - zu erreichen“.

Es war der 28. Januar, der Geschützdonner der Russen war Lkw bereit, um Flüchtlinge abzutransportieren. Für Johanna Tobias und ihre Tochter wäre noch Platz gewesen - allerdings hätten sie den Kinderwagen zurücklassen müssen. „Ich hätte Kissen, Windeln, Fläschchen zurück lassen und im eisigen Fahrtwind an der Ladeklappe stehen müssen. Meine Tochter wäre erfroren - wie so viele Flüchtlingskinder. Mit Tränen in den Augen sah ich die Ladeklappe hochgehen, den Lkw abfahren und immer kleiner werden. Diesen Anblick werde ich nie vergessen“.

So schob sie den Kinderwagen mühsam bis nach Parchwitz. Unterwegs traf sie auf einen russischen Deserteur, der ihr beim Schieben half. „Oft habe ich mich nach dem Krieg gefragt, was wohl aus diesem jungen Mann geworden ist“. In Parchwitz erreichte Johanna Tobias tatsächlich noch den letzten Zug gen Westen. Er war voll Flüchtlingen und Soldaten. Diese halfen, den Kinderwagen aufzuladen und teilten sogar die letzten gefrorenen Brotreste mit ihr. So erreichte sie Anfang Februar 1945 Dresden. „Unterwegs sah ich Mütter, die ihre toten Kinder in Ermangelung eines Schlittens auf einem umgedrehten Tisch am Stick hinter sich herzogen. Es war grauenvoll.“

Feuersturm in Dresden

In Dresden versuchte sie, sich einige Tage von ihrem Fieber zu erholen. Am 11. Februar verließen Johanna und Heidi Tobias Dresden in Richtung Grimma. Zwei Tage später sollte Dresden im Feuersturm eines alliierten Bombenangriffs untergehen. „Hätte wir zwei Tage länger in Dresden gerastet, würde ich heute vielleicht nicht hier sitzen“. Über verschiedene Wege erreichten beide Pardubitz im heutigen Tschechien. Dort war der Ehemann von Johanna Tobias als Oberleutnant der Luftwaffe an der Technikerschule eingesetzt. Ihm gelang es, für sich und seine Familie eine Mitfahrgelegenheit Richtung Bayern zu organisieren. „Es war ein leuchtend gelber Bus mit Holzvergaser. Wir konnten nur das Nötigste einpacken, aber den Kinderwagen meiner Tochter verteidigte ich standhaft. Durch irgendeinen glücklichen Umstand hatte wir ein kleines Säckchen Zucker ergattert, das zu Füßen meiner Tochter stand.“

Am seidenen Faden

Auf dem Weg nach Westen - der Krieg war zu Ende - wurde das Fahrzeug plötzlich von Tschechen beschossen. Einige Mitfahrer wurden teils schwer verletzt, und auch das Zuckersäckchen erhielt einen Treffer. „Ein paar Zentimeter weiter rechts, und der Schuss hätte unsere Tochter getroffen. Wieder einmal hing ihr Leben am seidenen Faden, und wieder einmal hat er gehalten“. Die Flucht endete schließlich in Birkenfeld in Mittelfranken.

In Idstein angekommen

Von hier führte der Lebensweg Johanna Tobias über viele Stationen schließlich nach Idstein, wo auch ihre Tochter wohnt. „Meine Mutter und Schwester habe ich nach der Flucht schnell wieder gefunden, da wir in Heidelberg eine Verwandte als Anlaufpunkt hatten. Von meinen Freundinnen und Schulkameraden aus Breslau habe ich hingegen nie wieder etwas gehört. Meine Eltern lebten getrennt, von meinem Vater verlor sich die Spur. Später erfuhr ich, dass er gegen Kriegsende von Polen erschlagen wurde.“

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 2. August 2012

 

Den Granatsplitter noch im Nacken

GESCHICHTE Werner Emmrich zu Gast beim Zeitzeugen-Abend der Reservisten

Zahlreiche Zuhörer kamen zum 10. Zeitzeugen-Abend der Idsteiner Reservisten und lauschten gebannt dem Bericht von Werner Emrich. Emrich ist Jahrgang 1923 und stammt gebürtig aus Kirschhofen bei Weilburg, hat aber intensive persönliche Verbindungen ins Idsteiner Land.

Seine Erzählung begann mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. „Es kommt mir vor wie heute, als morgens meine Mutter an meinem Bett stand und sagte: Der Krieg ist ausgebrochen!“ Sein erster Gedanke sei gewesen: ‚Du bist jetzt 16, jetzt bist Du auch dabei‘. Aber das blieb ihm vorerst erspart. Viele seiner Schulkameraden meldeten sich freiwillig. Als er 1941 Abitur machte, war die Schülerzahl in der Klasse von ehemals 16 auf vier geschrumpft.

Arbeitsdienst

Den daran anschließenden Arbeitsdienst leistete Emrich im besetzten Polen - im sogenannten Warthegau. In der Nähe von Jarschin war er untergebracht. Sehr armselig sei die Gegend gewesen, erinnert sich Emrich. „Als dann im Sommer der Krieg mit Russland begann, mussten wir auch Wache schieben - da tauschten wir den Spaten gegen das Gewehr.“

Nach dem Arbeitsdienst bewarb sich Emrich 1941 in Wiesbaden für die Ausbildung im Forstdienst. Er wurde zwar für einen Studienplatz vorgemerkt, Bedingung war aber der zuvor abgeleistete Dienst in einem Grenadierbataillon sowie die Ausbildung zum Reserveoffizier. „Da habe ich mir meine Unterlagen zurückschicken lassen und dankend verzichtet.“ Stattdessen bewarb er sich um einen Studienplatz für Maschinenbau an der Technischen Hochschule in Darmstadt. Im April 1942 wurde Emrich dann doch zur Wehrmacht eingezogen. Er kam zu den Eisenbahnpionieren nach Hanau. Ein Jahr verbrachte er dort - erst zur Ausbildung, dann als Offiziersbewerber und Ausbilder. Seinen ersten Einsatz hatte er an der Heimatfront. In der Nacht zum 17. Mai 1943 wurde die Edertalsperre durch einen britischen Fliegerangriff zerstört, 29 Menschen kamen ums Leben. „Wir kamen dort hin, um die Bahnstrecke instand zu setzen und bei Dissen nahe Gudensberg eine Behelfsbrücke zu bauen. Es sah schlimm aus.“

Zu den Panzerjägern

Dann ging es für Emrich nach Russland in die Stadt Staraja Russa. Dort wurde er von den Eisenbahnpionieren zu den schweren Panzerjägern versetzt. „Nur voll ausgebildete Techniker durften als Offiziersbewerber bei den Eisenbahnpionieren bleiben - und das war ich ja nicht“. Ins russische Nevel führte der Weg. „Dann begann der Rückzug - bis Mai 1944 gab es nichts anderes. Es war eine schlimme und gefährliche Zeit. Das Leben fand nur noch unter der Erde statt. Als nichts mehr ging, sprengten wir unsere Kanone und flohen. Alles, was wir nicht brauchten, warfen wir weg. Mit uns schleppten wir einen Verwundeten mit Lungenschuss - den konnten wir doch nicht einfach zurücklassen! Bis zu einem Lazarettzug brachten wir ihn.“ Während seiner Kriegsgefangenschaft traf Emrich diesen Kameraden wieder - er hatte die Verwundung überlebt.

Bis Dezember 1944 besuchte Emrich die Offiziersschule in Döberitz bei Berlin. „Hier wurde uns noch eingetrichtert, wie wir als Offiziere unsere Soldaten vom Endsieg überzeugen sollten - völliger Unfug.“ Als die Russen Anfang 1945 an der Weichsel standen, wurde er mit seinen Kameraden dorthin beordert. „Die Russen lagen ich Sichtweite. Wir hatten noch nicht einmal Tarnkleidung und lagen mit unserer grünen Uniform im Schnee.“ Dort wurde Emrich durch einen Granatsplitter verwundet, der seine Halsschlagader nur knapp verfehlte. „Der steckt heute noch in meinem Nacken.“

Er kam zur Genesung nach Hause, aber der Krieg war für ihn noch nicht zu Ende. Mitte März ging es wieder zur Truppe - diesmal nach Oldenburg. „Von dort aus wurde ich in Lingen an der Ems als Brückenkommandant eingesetzt. Nachdem die Brücke in Remagen unzerstört von den Amerikanern eingenommen wurde, wurden wir darauf verpflichtet, unsere Brücke rechtzeitig zu sprengen.“ Ein Hauptmann löste ihn schließlich dort ab. „Ein Oberleutnant meinte, wir sollten uns im Moor verstecken, bis der Krieg aus sei. Aber wir hörten, dass Deserteure umgehend aufgehängt würden. Davor hatten wir einfach Angst.“ So ging es in den letzten Kriegstagen noch zum Minenlegen und Sperrenbau.

Flucht aus der Gefangenschaft

Nach dem Krieg kam er in britische Gefangenschaft in das Internierungsgebiet zwischen Nordseeküste und Ems-Jade- Kanal. Von dort ging es in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der ihm Anfang September 1945 die Flucht gelang. „Am 7. September war ich wieder glücklich zuhause bei meinen Eltern“.

Emrich nahm seine Praktikantentätigkeit wieder auf, studierte in Darmstadt Maschinenbau und war bis zum Ruhestand bei Kalle in Wiesbaden beschäftigt. Heute genießt er seinen Lebensabend im Hildastift in Wiesbaden.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 26. Oktober 2012

 

Zeitzeugenabend der Idsteiner Reservistenkameradschaft mit Erika Steinberger

Mit Erika Steinberger haben die Idsteiner Reservisten zum zweiten Mal eine Frau zu einem ihrer Zeitzeugenabenden begrüßt. Dementsprechend ging es auch in ihrem Vortrag um das, was die Menschen im Zweiten Weltkrieg an der sogenannten „Heimatfront“ erlebten. Aber ihre Erzählung begann lange vor dem Zweiten Weltkrieg. Geboren wurde sie am 29. Dezember 1925 in Frankfurt am Main. Mit ihren Eltern lebte sie bei den Großeltern. Der Großvater war Kaufmann, verlor aber sein ganzes Hab und Gut während der Inflation der 1920er Jahre. Der Streit ums Geld führte dann auch zu einem Familienzerwürfnis und einer frühen Trennung der Eltern. Den Kontakt zum Vater verlor Erika Steinberger dadurch für immer.

Die jüdische Freundin

Die Mutter musste für sich und die Kinder sorgen. Sie machte eine Ausbildung zur Lehrerin, die Kinder wurden von den beiden Tanten aufgenommen, die ebenfalls Lehrerinnen waren. So kam Erika Steinberger nach Battenberg an der Eder.

Hier hat sie ihre frühsten Erinnerungen an die politischen Geschehnisse der 1930er Jahre - auch wenn sie diese damals noch nicht einordnen konnte. „Ich hatte ein jüdisches Mädchen als Freundin. Eines Tages - es war im Jahr 1933 - kam meine Tante Lilly zu mir und sagte: ‚Zu den Stern’s-Mädchen kannst Du nicht mehr gehen.‘ Unbedarft wir ich mit sieben Jahren war, habe ich das so hingenommen und mit anderen Kindern gespielt.“

Angeschwärzt

Den Hintergrund erfuhr sie später von ihrer Tante: Ein Kollege hatte sie in der Schule beim Direktor angeschwärzt mit den Worten: „Untersuchen sie doch mal den arischen Hintergrund von Frau Ruppel, Sie kommt aus Frankfurt und redet auch viel mit den Händen.“ Vor diesem Hintergrund war es der Tante denn auch zu gefährlich, dass Erika Kontakt zu jüdischen Kindern hatte. Als die Mutter ihre Ausbildung beendet hatte, zog sie mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder gemeinsam mit der Mutter zu einem Onkel nach Höchst. Dort besuchte sie die Schule, wurde konfirmiert und gehörte auch wie fast alle Kinder zu einer der NS-Jugendorganisationen - den Jungmädels.

„Die Zeit dort für uns Kinder war schön - wir haben viel unternommen, Ausflüge gemacht, gespielt und gesungen.“ Später ging sie zur höheren Schule nach Frankfurt. Vom Hauptbahnhof ging es zu Fuß Richtung Zoo. „Oft gab es Fliegeralarm, dann mussten wir uns schnell Unterschlupf in einem Keller suchen. Aber irgendwie waren wir daran gewöhnt.“ Auch an die Schikane der jüdischen Mitbürger, die in einer Großstadt wie Frankfurt viel mehr an der Tagesordnung waren als auf dem Land, erinnert sie sich noch. „Ab und zu haben wir auf dem Weg zur Schule alte Männer mit einem Stern auf der Brust gesehen, die die Straße kehren mussten. Dabei haben wir uns aber nichts gedacht.“

Beeinflusst durch die nationalsozialistische Propaganda sah man solche Dinge damals als selbstverständlich an. 1942 kam Erika Steinberger mit Freundinnen zum Ernteeinsatz aufs Land. Ab und zu durfte sie nach Hause und brachte Lebensmittel mit. „Butter und was es eben so gab.“ Im März 1944 machte sie schließlich an der Herderschule in Frankfurt ihr Abitur.

Offene Stadt

„Die Schule war 1943 ausgebombt worden. Wir wurden dann auf andere Schulen verteilt, wo wir nachmittags unterrichtet wurden.“ Eigentlich wollte sie mit ihrem Freund Medizin studieren, aber das war zur damaligen Zeit nicht möglich. Sie kam zum DRK und wurde Schwesternschülerin. Im Februar 1945 wurde Frankfurt dann zur „offenen Stadt“ erklärt - das bedeutete laut Kriegsrecht, das Frankfurt nicht verteidigt wird und daher nicht angegriffen oder bombardiert werden darf. Dennoch sollte die Zivilbevölkerung die Stadt verlassen. „Für uns ging es wieder zur Tante nach Battenberg. Unterwegs wurden wir von Tieffliegern angegriffen und mussten uns im Gebüsch verstecken.“ Als sie Battenberg erreichten, war die Stadt schon von den Amerikanern besetzt.

Nach dem Krieg machte sie dann in Wiesbaden eine Lehre als Frauenschneiderin. „Leider wurde mein Abiturzeugnis nicht anerkannt, sodass ich mir den Traum eines Studiums nicht erfüllen konnte.“ Irgendwann erreichte sie ein Schreiben der Militärbehörden mit dem Vorwurf, sie sei Mitglied der NSDAP gewesen. „Das waren viele von uns ungewollt. Das passierte automatisch. Ich erinnerte mich an ein Schreiben, das ich 1944 erhielt. Darin hieß es damals: ‚Es hat dem Führer gefallen, Sie in die NSDAP aufzunehmen.‘ So war das.“

Sie kam glimpflich davon und musste mit Freundinnen im Wiesbadener Kurpark kehren. „Die Amerikaner, die uns bewachten, waren aber nett zu uns und brachten uns Süßigkeiten. Leute, die vorbeigingen, beschimpften uns und sagten: Jetzt werden die Nazi-Weiber auch noch gefüttert!“

1948 heiratete Erika Steinberger. Über verschiedene Stationen führte der Weg dann für sie und ihre Familie nach Idstein, da ihr Mann einen Lehrauftrag an der Bauschule erhielt. Heute lebt sie im Phönix-Haus, wo sie auch schon oft über ihre Lebensgeschichte berichtet hat.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 2. August 2012

 

„Endlich ist das Vorbei“

GESCHICHTE Zeitzeugen-Abend der Reservisten mit Dr. Wilhelm Velten

Den letzten Zeitzeugen-Abend in diesem Jahr gestaltete Dr. Wilhelm Velten mit dem abschließenden Teil der Vortragsreihe über seine Kriegserlebnisse. Dieser letzte Teil begann mit seiner Verwundung bei den Kämpfen südlich von Rom. Anfang Juni 1944 war es, als es Wilhelm Velten in einem Handgranatenhagel erwischte. Ein Splitter traf seinen linken Arm. Durch Zufall fand er einen Platz in einem Sanitätswagen. Dieser brachte ihn und andere Verwundete durch Rom Richtung Norden. Rom war zwischenzeitlich zur „offenen Stadt“ erklärt, durfte also nicht verteidigt und nicht beschossen werden. „Ich kam mir vor, wie im Frieden. Die Menschen saßen auf der Straße, haben in Ruhe Zigaretten geraucht und geschwatzt.“ Mitten in eine „kopflose Flucht“ kam das Sanitätsfahrzeug.

Auf nach Norden

Alles, was fahren konnte, bewegte sich nach Norden. Die Straßen waren zum Bersten voll. „Aber für ein San- Fahrzeug hat man immer Platz gemacht“, so Velten. So kam er schließlich in ein Lazarett. „Am Arm hatte ich Schmerzen wie ein Pferd, aber keiner kümmerte sich um mich.“ „Sie können ja noch laufen, suchen Sie sich mal einen Platz“, mit diesen Worten überlies man ihn sich selbst. Als endlich jemand nach der Wunde schaute, war der Arm dick geschwollen und vereitert. Vom Lazarett kam er auf das Lazarettschiff „Erlangen“, auf dem auch amerikanische und englische Verwundete waren.

In Genua

Das Schiff wurde am 16. Juni 1944 trotz internationaler Kennzeichnung zwischen Viareggio und Genua durch Luftangriff schwer beschädigt. „Italienische Fischer kamen mit ihren Booten und retteten uns.“ Gegen Abend wurden die Geretteten nach Genua gebracht. Nach zehn Tagen im dortigen Lazarett ging es mit dem Lazarettzug nach Bad Kissingen, wo der Zug im Regen ankam. „Und wieder kümmerte sich niemand um uns. Man lud uns aus und lies uns im Regen stehen.“

In Bad Kissingen wurde auch erstmals eine Amputation des linken Armes in Erwägung gezogen. Doch noch wurde nicht gehandelt. Weiter ging es nach Würzburg und dann ins Münster Schwarzach. Langsam ging es Wilhelm Velten besser. Im März 1945 bekam Velten zum ersten Mal seit langer Zeit Urlaub. Über Nürnberg, Aschaffenburg, Darmstadt und Mainz gelangte er nach Hochheim.

Bei der Brieffreundin

Eingeschränkt verwendungsfähig sollte er wieder zu einer Einheit stoßen. Gemeinsam mit einem Oberleutnant fuhr er über Frankfurt nach Halle. Weiter ging es bis ins Erzgebirge. Dort nutze er einen Aufenthalt in Königswalde, um seine bislang unbekannte Brieffreundin zu besuchen. Ihre ersten Worte waren: „Bist Du das wirklich? Nimm mal die Brille ab.“ Aber auch Velten erkannte sie nicht sofort. „Auf meinem alten Foto hatte sie Zöpfe, nun stand sie mit Dauerwelle vor mir.“ Heute würden beide sich sofort erkennen, schließlich sind sie seit 60 Jahren verheiratet.

Im Erzgebirge war für Wilhelm Velten dann der Krieg aus. In Lichtenfels erhielt er seinen Entlassungsschein sowie einen Bezugsschein für Zivilkleidung. „Die Uniform durfte ich behalten, Kleidung war wertvoll.“ Auf einem Bahnhof erreichte ihn die Nachricht vom Tode Hitlers. „Auf der Straße haben die Menschen geheult, Bilder von Hitler wurden mit Trauerflor geschmückt. Ich dachte mir nur: Endlich ist das vorbei.“

Vorbei war alles auch bald für Wilhelm Velten. Am 8. Juni erreichte er seine Heimat. Noch lange plagte ihn seine Verwundung am linken Arm. Schließlich musste 1946 der Arm amputiert werden. Doch er machte seinen Weg. Anfang Januar 1953 heiratete er seine Brieffreundin, später wurde er Lehrer am Idsteiner Gymnasium. Bis heute hat er noch freundschaftliche Kontakte zu ehemaligen Kameraden, aber auch zu ehemaligen Gegnern. „Wir begegnen uns alle mit viel Respekt.“

 

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