Pressespiegel 2011

 

25. Januar 2011 : Gräberpflege ist wichtige Aufgabe

21. April 2011 : "Furchtbar, aber das war so"

15. Juni 2011 : Als Wachposten in der Nacht zum D-Day

20. Oktober 2011 : Menschen flogen durch die Luft“

16. November 2011 : Tiefe persönliche Erfahrung

7. Dezember 2011 : Dem Albtraum entflohen

 

werbul1d Idsteiner Zeitung, 25. Januar 2011

 

Gräberpflege ist wichtige Aufgabe

RESERVISTEN Idsteiner Kameradschaft lädt zum Neujahrsempfang ein / „Erhöhte Akzeptanz“

Die Idsteiner Reservisten luden zu ihrem traditionellen Neujahrsempfang ein. Neben Vertretern verschiedener befreundeter Kameradschaften und Organisationen konnte der Vorsitzende der Reservistenkameradschaft Idstein Sven Abschinski auch Landrat Burkhard Albers und Bürgermeister Gerhard Krum begrüßen.

In seiner kurzen Ansprache schweifte Abschinski „in die große und die kleine Welt“. Beim Blick in die große Welt galten die Gedanken vor allem den zehn Kameraden, die im vergangenen Jahr ihr Leben im Einsatz verloren hatten. Vielen sei aber auch durch den tapferen Einsatz von Kameraden das Leben gerettet worden. So sei es nur folgerichtig, dass es seit 2010 nun erstmals in der Geschichte der Bundeswehr einen Tapferkeitsorden gäbe. In Deutschland tue man sich noch immer schwer mit dem Begriff „Tapferkeit“ im Zusammenhang mit Soldatentum. „Im zivilen Leben ist es selbstverständlich, dass Menschen für Mut und Tapferkeit ausgezeichnet werden - zum Beispiel mit der hessischen Rettungsmedaille. Nun gibt es auch endlich für unsere Soldaten eine solche Anerkennung“, so Abschinski.

Der zweite Blick galt der Aussetzung der Wehrpflicht. „Unsere Regierung hat entschieden, und nun liegt es an uns, damit umzugehen.“ Da die Bundeswehr nun auf Freiwillige angewiesen sei, komme den Reservisten vermehrt die Aufgabe der Werbung zu. „Wir sind der Ersatz für die Bundeswehr vor Ort. Und wir wollen den ausgeschiedenen Soldaten nach ihrem aktiven eine Heimat bieten. Da sehe ich unsere Zukunft.“

Beim Blick in die „kleine Idsteiner Welt“ konnte die RK Idstein wieder auf ein Jahr mit vielen Aktivitäten wie der Pflege der Idsteiner Kriegsgräberstätte, der Teilnahme am Fest der Vereine oder am Volkstrauertag sowie der Unterstützung des DRK beim Blutspendetermin im September und der Sammlung für den Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge zurückblicken.

Hinzu kamen die Teilnahme an der Einweihung der Kriegsgräberstätte in Cheb (ehemals Eger) in Tschechien und die Familienexkursion zu den Stellungen des Ostwalls im heutigen Polen. In 2011 wartet neben dem „Tagesgeschäft“ ein kleiner Leckerbissen auf die Idsteiner. Im November geht es zum sechsten Arbeitseinsatz mit dem Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge seit 1998. Diesmal geht es nach Bastogne in Belgien, wo man eine Woche lang den dortigen deutschen Soldatenfriedhof winterfest macht und als Abschluss den Volkstrauertag mit dem deutschen Militärattaché begeht.

Bevor es zum geselligen Teil überging, richtete auch Bürgermeister Gerhard Krum das Wort an die Gäste und dankte im Namen der Stadt Idstein für das große Engagement der Reservisten in Idstein. Vor allem stellte er den Einsatz der Idsteiner für die Pflege der Kriegsgräberstätte und auch den persönlichen Einsatz von Jörg Fried bei den Recherchen zu den dort bestatteten Toten heraus. „Das hat - besonders nach der Feierstunde zum letztjährigen Volkstrauertag - zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und Akzeptanz für die Kriegsgräberstätte in der Idsteiner Bevölkerung geführt.“ Für die weitere Arbeit sicherte er den Reservisten „im bescheidenen Rahmen der Möglichkeiten der Stadt Idstein“ jegliche Unterstützung zu.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 21. April 2011

 

„Furchtbar, aber das war so“

ZEITZEUGE Heinz Hahn berichtet in der Vortragsreihe der Reservisten von seiner Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg

Die Idsteiner Reservisten starteten ihre Vortragsreihe „Zeitzeugen berichten“ mit Heinz Hahn aus Oberlibbach, der aus Niederseelbach stammt, und vor zahlreichen Zuhörern von seiner Soldatenzeit berichtete.

Er begann 1942 als Siebzehnjähriger seine Ausbildung als Forstgehilfe. Was er damals nicht wusste: Damit war sein Eintritt in die Division „Hermann Göring“ besiegelt. Hermann Göring - nicht nur Oberbefehlshaber der Luftwaffe, sondern auch Reichsforstmeister - befahl im Dezember 1942, dass sich alle Auszubildenden im Forstdienst „sofort freiwillig zur Division Hermann Göring zu melden“ haben. Ansonsten drohten ihnen Entlassung sowie weitere Repressalien. So meldete sich auch Hahn freiwillig.

Doch dem Dienst in der Wehrmacht ging ab Januar 1943 ein Dienst im Reichsarbeitsdienst voraus. Dabei war Hahn am Westwall eingesetzt. „Hier waren wir dafür zuständig, die Wall- und Bunkeranlagen zu bepflanzen und somit zu tarnen“, so Hahn. Anschließend kam er dann zu Division, wobei ihn sein erster Weg nach Utrecht in Holland führte. In einer kleinen Anekdote berichtete er von einem Besuch bei einer befreundeten Holländerin, die er aus Idstein kannte. Als er seinen Besuch ankündigte, sagte sie zu ihm: „Komm aber bloß nicht in Uniform, nur in Zivil.“ Niemand sollte wissen, dass sie mit einem deutschen Soldaten befreundet war.

Im Herbst 1943 kam Heinz Hahn nach Italien. In seiner Militärzeit führte er verbotener Weise ein Tagebuch, so dass er sehr detailliert über seine Erlebnisse und Gefühle im Einsatz berichten konnte. Von der Etappe nördlich von Rom wurde Hahns Einheit Anfang 1944 nach Monte Cassino verlegt. „Rom war militärfreie Stadt. Keine deutsche Einheit durfte sich hier aufhalten oder durch Rom ziehen, um den Alliierten keinen Anlass für eine Bombardierung der Stadt zu geben. So waren wir gezwungen, in einem großen Bogen an Rom vorbeizumarschieren.“

Gut erinnert sich Hahn an Oberstleutnant Julius Schlegel, der als Retter der Kunstschätze von Monte Cassino gilt. „Der hat einfach befohlen, alle Kunstschätze auf Lkw zu verladen und in den Vatikan zu bringen.“ Der Wiederaufbau des Klosters wurde nicht zuletzt deshalb möglich, weil Julius Schlegel auch alle Baupläne rettete. Schlegel selbst entging nur knapp einer Verhaftung durch die Militärpolizei.

Ebenso gut erinnert sich Hahn an den 20. Juli 1944, den Tag des Attentates auf Hitler. „In der Nacht auf den 21. wurden wir um 2 Uhr geweckt. Wir wurden über das gescheiterte Attentat informiert. Außerdem wurde uns mitgeteilt, dass ab sofort der Hitlergruß als militärischer Gruß eingeführt sei.“

Weiter führte sein Weg nach Warschau, wo Hahn den Warschauer Aufstand erlebte. „Das ging alles ganz schnell. Überall tauchten plötzlich Bewaffnete auf. Alle waren mit einer Schleife an der Brust als Kämpfer gekennzeichnet. Wir konnten uns gar nicht erklären, wie in einer so von deutschen Soldaten bewachten Stadt so viele Waffen versteckt werden konnten. Da alle Kämpfer auf polnischer Seite mit diesen einheitlichen Schleifen gekennzeichnet waren bekamen wir den Befehl, sie als Soldaten anzusehen und entsprechend als Kriegsgefangene zu behandeln. Ansonsten hätten sie als Partisanen gegolten. So wurden sie von uns verhaftet und in Kriegsgefangenschaft geführt.“

Immer wieder sagt Heinz Hahn: „Furchtbar, aber das war so.“ Sei es, als er davon berichtet, wie ein Kamerad in seinen Armen starb, oder bei seinen Berichten vom Januar 1945, als die Reste der Division in schwere Gefechte mit den vordringenden Russen in Ostpreußen verwickelt waren. In sein Tagebuch hat der damals 19-Jährige eingetragen: „Alles Sch…, Schnauze voll.“ Über das Frische Haff wurden sie dann mit einer der letzten Fähren evakuiert und gelangten zum nächsten Einsatz in die Niederlausitz. Auch hier waren die Russen schon. Man lieferte sich erbitterte Kämpfe, drang vor und wurde wieder zurückgeschlagen. „In den Orten, aus denen wir die Russen vertrieben, sahen wir schreckliche Dinge. Ich werde nie das Bild einer Frau vergessen, die an ein Scheunentor genagelt war. Es war schrecklich.“ In den 70er Jahren kehrte Hahn auf einer Reise nach Senftenberg in die Lausitz zurück. Bei einem Feuerwehrfest saß er dort mit zwei älteren Frauen an einem Tisch, dabei kam das Gespräch auch auf die Kriegszeiten. „Die eine Frau wurde immer ruhiger, immer stiller. Wahrscheinlich hatte sie das gleiche erlebt. Wäre ich doch nur still gewesen und hätte nichts erzählt“, so Hahn heute.

Zwischen Karlsbad und Eger geriet Hahn schließlich in amerikanische Gefangenschaft. „Die Amerikaner versprachen zwar, alle Gefangenen in die amerikanische Zone zu schaffen und niemanden den Russen zu übergeben, aber dem traute ich nicht so recht - also bin ich abgehauen.“ So schlug er sich von Eger bis nach Niederseelbach durch, viele Menschen halfen ihm, indem sie ihn versteckten, verpflegten oder ein Stück mitnahmen. Am 29. Mai 1945 kam Heinz Hahn wieder in Niederseelbach an. „Die Freude war groß, das letzte Lebenszeichen von mir hatte meine Familie an Weihnachten 1944 erhalten.“

Natürlich musste auch Hahn sich der Entnazifizierung unterziehen. „Der Reichjugendführer der NSDAP schenkte Adolf Hitler zu dessen Geburtstag als besonderes Geschenk quasi jeden jungen Menschen, indem diese - egal ob Junge oder Mädchen - als Mitglied in der NSDAP gemeldet wurde. Dem konnte man sich gar nicht entziehen. So wurde auch ich 1943 Parteimitglied.“ Das Aufnahmedatum in die Partei war immer der 20. April - Hitlers Geburtstag.

Schon bald konnte Heinz Hahn wieder ins Berufsleben einsteigen und war viele Jahre im Idsteiner Land als Förster tätig. Hilfreich war dabei vielleicht auch, dass er sich selbst aus der Wehrmacht entlassen hatte. „Ich habe in meinem Wehrpass eingetragen: Entlassen am 7. Mai. Und dann habe ich die Unterschrift gefälscht“, sagte er mit einem Augenzwinkern. Den Wehrpass hatte er an diesem Abend dabei und zeigte ihn den staunenden Zuhörern. „Gemerkt hat das keiner.“

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 15. Juni 2011

 

Als Wachposten in der Nacht zum D-Day

ZEITZEUGE Der Idsteiner Walter Hartmann berichtet von seinem Kriegseinsatz und seiner Gefangenschaft in den USA

Beim zweiten Abend der Vortragsreihe „Zeitzeugen berichten“ bei den Idsteiner Reservisten war diesmal Walter Hartmann zu Gast - vielen noch als Küster der evangelischen Kirchengemeinde bekannt.

„Ich war kein Held“, begann Hartmann seinen Vortrag, „für mich war der Krieg aus, noch bevor ich den ersten Schuss abgegeben hatte.“ Verhältnismäßig spät wurde er 1943 mit 19 Jahren eingezogen. In der Normandie dann wurde er als MG-Schütze einer schweren MG-Abteilung zugeteilt und am Rande des späteren Invasionsgebietes in Montebourg etwa zehn Kilometer von Cherbourg eingesetzt. In der Nacht zum 6. Juni - dem „D-Day“ - stand Walter Hartmann Wache, als ein mächtiger Fliegerangriff kam, der die ganze Nacht hindurch dauerte. Seinen letzten Brief schrieb Hartmann am 12. Juni nach Hause.

Offene Worte hätten zum Verhängnis werden können

„Ich habe noch keinen Schuss abgegeben … Der Feind gewinnt immer mehr an Boden. Unsere Stellung soll gehalten werden. Morgen wird es die Hauptkampflinie werden … Überall Feind. es sind schon viele gute Kameraden gefallen … Bislang sind gerade mal zwei deutsche Flieger hier drüben. Das ist alles von unserer Luftwaffe.“ Offene Worte nach Hause, die Hartmann leicht hätten zum Verhängnis werden können. „Wenn jemand gemerkt hätte, dass ich so offen und unverblümt nach Hause schreibe!“ Nachdem die Amerikaner die Stellung überrollt hatten, setzte sich Walter Hartmann mit seinen Kameraden nach Cherbourg ab. Unterwegs trafen sie auf einen Trupp Soldaten, den sie für Deutsche hielten. Nachdem sie auf sich aufmerksam gemacht hatten, stellte sich dies jedoch als Irrtum heraus - es waren Amerikaner. Ein Kamerad sagte: „Schießt nicht, sonst werdet ihr erschossen“. So kam der Trupp in Gefangenschaft. Als sie nach dem Verhör ins Gefangenenlager kamen, merkte Hartmann, dass er noch eine Handgranate in der Hosentasche hatte - unbemerkt von den Amerikanern. „Die habe ich aber ganz schnell verschwinden lassen!“

Dann ging es auf Landungsschiffen zum Abtransport nach Southampton. Hartmanns Eltern bekamen Mitte Juli 1944 ein Schreiben seiner Dienststelle, in dem es hieß: „Seit dem ersten Gefecht mit amerikanischen Fallschirmspringern am 7.6.44 bei St. Mère Église in der Normandie wird Ihr Sohn vermisst. Sein Verbleib konnte bisher nicht festgestellt werden.“

„In Amerika ging es uns gut“

Man könne sich ja denken, wie es seinen Eltern nach dieser Nachricht ging, meinte Hartmann. Erst am 10.2.1945 erhielt die Familie die Nachricht vom Oberkommando des Heeres, dass sich Walter Hartmann in amerikanischer Gefangenschaft befand. Da war er schon lange in den USA, wohin ihn eine elftägige Fahrt in einem Geleitzug mit 50 Schiffen führte. Dort ging es in ein Lager nach Indiana.

„In Amerika ging es uns gut“, berichtete Hartmann. „Wir bekamen gut zu essen, hatten anständige Kleidung und durften viel nach Hause schreiben. Und zu Weihnachten 1945 kam von zu Hause Post. Wie schlecht es zu Hause ging, wurde mir deutlich, als ein Mitgefangener als Weihnachtsgeschenk eine alte, geflickte lange Unterhose bekam. Da ging es uns in Gefangenschaft wirklich gut.“ Von Indiana wurde Walter Hartmann in ein Lager bei Fort Knox verlegt. „Erst nach dem Krieg haben wir erfahren, dass da die Goldreserven lagern.“

Ende April 1946 ging es dann mit riesigen Schiffen zurück nach Europa. Nach neun Tagen erreichte man Le Havre. Von dort ging es zur Zwangsarbeit in ein Kohle-Bergwerk. Ende 1948 wurde Walter Hartmann aus der Gefangenschaft entlassen und fuhr mit dem Zug nach Idstein. Hartmanns Vater war kurz zuvor an Krebs gestorben, was ihm seine Mutter aber nicht schreiben wollte.

4000 Reichsmark für die Bauschule

Nach dem Krieg wollte er eigentlich an der Bauschule studieren. Sein Vater hatte dafür 4000 Reichsmark gespart - die bei der Währungsreform dann allerdings fast nichts mehr wert waren. So arbeitete Walter Hartmann erst als Hausmeister am neuen Gymnasium und später als Küster der evangelischen Kirchengemeinde. Nun genießt er seit vielen Jahren mit seiner Frau den verdienten Ruhestand.

Die vielen Zuhörer erlebten einen interessanten Vortrag, den Walter Hartmann mit Zitaten aus seinen Briefen sowie Bildern und Fotos bereicherte. Nach seinem Dank an Walter Hartmann kündigte Herbert Barth - stellvertretender Vorsitzender der Reservisten - für den Herbst den nächsten Zeitzeugen-Abend an.

Im Rückblick auf den letzten Zeitzeugenbericht von Heinz Hahn im April konnte an diesem Abend erwähnt werden, dass das Museum zum „Warschauer Aufstand“ in Warschau durch das Internet und den Artikel der Idsteiner Zeitung über den Vortag Hahns informiert mit den Reservisten Kontakt aufgenommen hat. Im Juni wollen Vertreter des Museums Hahn besuchen, um ihn als Zeitzeugen zu interviewen.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 20.Oktober 2011

 

„Menschen flogen durch die Luft“

ZEITZEUGEN Gerhard Wick berichtet von seinen Erlebnisse in Kriegszeiten / Reservisten setzen Vortragsreihe fort

Im Rahmen der Vortragsreihe „Zeitzeugen berichten“ der Idsteiner Reservistenkameradschaft erzählte der heute in Idstein lebende Gerhard Wick von seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg. 1927 wurde Gerhard Wick aus Burg-Hohenstein geboren. Als Kind hat er nichts anderes als das nationalsozialistische Deutschland gekannt. Seine ersten Kindheitserinnerungen haben auch damit zu tun. Er erinnert sich an eine damals nicht unübliche Hausdurchsuchung durch drei SA-Leute. Noch heute hört er die wütende Stimme seiner Mutter: „Wollt ihr vielleicht auch noch das Kindergewehr mitnehmen?“ Damit musste man damals rechnen - SA-Horden, die durch den Ort streiften und in den Häusern nach Waffen suchten.

Und auch an den Kriegsbeginn 1939 erinnert er sich noch. „Damals sind bei uns Flüchtlinge aus dem Saarland einquartiert worden. Die hat man aus dem Aufmarschgebiet an der französischen Grenze evakuiert.“

Gerne hätte Gerhard Wick damals die Realschule besucht. „Aber meine Eltern waren nicht so wohlhabend. Da ich noch einen älteren Bruder hatte, der auch gerne weiter zur Schule gegangen wäre, entschieden meine Eltern: Wenn wir es nicht beiden bezahlen können, dann soll keiner gehen. Das war ja nicht mehr als gerecht.“

Als er dann 1941 aus der Volksschule entlassen wurde, wollte er Förster werden. Davor stand aber noch das „Landjahr“ an. In der Weimarer Republik als „Landhilfe“ eingeführt, war es ursprünglich als freiwillige Maßnahme gegen Jugendarbeitslosigkeit gedacht. 1934 wurde dies dann als neunmonatiges Landjahr zur Pflicht. „Ich kam dann von April bis Dezember 1941 nach Bensberg. Dort war es fast wie beim Militär. Neben Feldarbeit lernten wir Betten bauen, Strümpfe stopfen und Schuhe putzen.“

1943 begann seine Ausbildung als preußischer Forstlehrling in Hohenstein. „Jeden Tag bin ich fünf Kilometer zur Arbeit gelaufen und abends wieder zurück - bei Nacht und Nebel und bei jedem Wetter.“

Am 9. Juni 1944 kam Gerhard Wick für drei Monate zum Reichsarbeitsdienst, wurde im September entlassen und drei Wochen später als Soldat zur Unteroffiziersschule nach Freiberg eingezogen. Von dort ging es Anfang 1945 an die Front nach Groß Schimmendorf südlich Oppeln. Hier sollten er und seine Kameraden über 800 Meter freie Fläche ein Dorf angreifen, das von Russen besetzt war. „Das war ein Himmelfahrtskommando. Die Stalinorgeln fingen an zu schießen, Menschen flogen durch die Luft.“ Wick wurde zurück zum Gefechtsstand geschickt und sollte Panzerunterstützung holen. „Dort saß unser Kompaniechef bei einem Glas Wein, schaute mich an und warf mir Feigheit vor dem Feind vor“.

Ende April kam dann der Rückzug, am 9. Mai überschritten sie die tschechische Grenze. Sie wurden von Tschechen gefangen genommen und gefesselt in den nächsten Ort geführt. „Hier wurden wir von der Bevölkerung geschlagen und ins Gesicht gespuckt. Dann hat man unsere Soldbücher kontrolliert, ob wir SS-Soldaten sind. Die SS-Leute hat man zu einer Scheune führt. Dort wurden sie nackt ausgezogen und ausgepeitscht. Um die 60 von ihnen hat man dann auf der Stelle erschossen.“

Am nächsten Tag wurden die Gefangenen von Russen übernommen. „Die haben uns vor den Tschechen beschützt.“ Dann ging es nach Tiflis in Gefangenschaft. In der Gebirgsniederung um Tiflis waren fünf Lager für je 5000 Gefangene eingerichtet. „Außer dem Fluss Kura gab es hier nichts - nur Wüste. Da sollte Schwerindustrie entstehen. Wir mussten kilometerlange Gräben für Verbindungsrohre ausheben. Nach mehr als 30 Malariaanfällen war ich irgendwann nicht mehr arbeitsfähig und durfte im Lager bleiben. Hier bekam ich einen Posten beim Lagerarzt. Ich lernte etwas Russisch und war dann auch der Dolmetscher.“

Im Lager sei es den Gefangenen relativ gut gegangen. „Unsere Bewacher gingen anständig mit uns um. Das hing vielleicht auch daran, dass es Kaukasier und Georgier waren. Die konnten die Russen genauso wenig leiden wie wir. Und was die Zivilbevölkerung betrifft: Die hatten auch nicht mehr zum Leben als wir.“

Im Juli 1949 ging es zurück in die Heimat. Nach der Ankunft in Deutschland wurden sie nach Besatzungszonen sortiert und sofort verhört. „Die Amerikaner wollten alles wissen: Wie hießen die Offiziere der Bewacher, welche Einheiten waren dort stationiert, an welchen Fabriken habt ihr gearbeitet“. Dann ging es endlich heim. Doch als er sich beim Forstamt meldete und seine Ausbildung abschließen wollte, sagte man Gerhard Wick nur: „Sie kommen leider zu spät. Wir haben keine Stelle mehr für sie“. Keiner habe sich um ihn als Heimkehrer gekümmert, keiner habe sich verantwortlich gefühlt.

Das Publikum lauschte Gerhard Wick und verfolgte seine Schilderungen interessiert. „Wir hätten nicht gedacht, dass unsere Zeitzeugen-Reihe so ein Interesse weckt“, meinte Klaus Bücher, der zusammen mit Jörg Fried diese Reihe ins Leben gerufen hat. „Wir haben viele Interessenten, die uns aus ihrem Leben berichten möchten.“ Deshalb hat die Reservistenkameradschaft entschieden, die Reihe „Zeitzeugen berichten“ außerhalb der Kameradschaftsabende als eigenständige Reihe in loser Folge laufen zu lassen.

„Vielleicht gibt es ja entgegen unserer Ankündigung doch noch einen Zeitzeugen-Abend in diesem Jahr“, meint Jörg Fried. Dazu wird dann wieder in der IZ eingeladen. Es können sich auch Menschen melden, die von ihren Erlebnissen berichten möchten. „Dabei denken wir nicht nur an ehemalige Soldaten, sondern auch an Menschen, die Flucht und Vertreibung, den Dienst als Lazarettschwestern oder den Krieg als Jugendlicher zu Hause erlebt haben“. Meldungen nimmt Klaus Bücher unter Telefon 06126/53547 entgegen.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 16. November 2011

 

Eine tiefe persönliche Erfahrung

RESERVISTENKAMERADSCHAFT Arbeitseinsatz auf dem Soldatenfriedhof in Recogne

„Als wir vor unserem Arbeitseinsatz auf dem Löherplatz für den Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge sammelten, sprach mich ein alter Mann an und sagte: ‚Ihr fahrt doch nach Bastogne, bestellt bitte Grüße!’ Auf meine Frage, ob dort ein Verwandter von ihm bestattet sei, traten Tränen in seine Augen. ‚Ich war 1944 dabei, dort liegen meine Freunde. Wir waren doch erst 17’, sagte er leise und ging weg.“, berichtet Jörg Fried. Mit diesem traurigen Gruß im Gepäck machten sich unter seiner Leitung sieben Mitglieder der Reservistenkameradschaft Idstein und befreundeter Reservistenkameradschaften sowie zwei aktive Soldaten aus Diez auf den Weg nach Bastogne in Belgien.

Dort bezogen sie für die nächsten Tage Quartier in einer belgischen Kaserne, um einen freiwilligen Arbeitseinsatz auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Recogne - rund drei Kilometer von Bastogne entfernt - abzuleisten. In diesem Gebiet fand um Weihnachten 1944 eine der letzten großen Schlachten des Zweiten Weltkrieges statt, der zu dieser Zeit für Deutschland schon längst verloren war. Das „letzte Aufgebot“ wurde zusammengezogen, um durch die Ardennen bis nach Antwerpen vorzustoßen und den Amerikanern die Versorgung abzuschneiden. Wer nicht kämpfen wollte, wurde standrechtlich erschossen. Ein Großteil der deutschen Soldaten war noch keine 20 Jahre alt, viele erst 17 oder 18.

Besonders heftig tobten die Kämpfe um Bastogne. Am Ende der sogenannten „Ardennenoffensive“ konnte der Vormarsch der Alliierten zwar kurz verzögert, aber nicht aufgehalten werden. Rund 32500 Menschen - Zivilisten und Soldaten (davon knapp 20000 Deutsche) - verloren innerhalb von sechs Wochen ihr Leben in einem letzten sinnlosen Aufbäumen des Naziregimes.

6807 tote deutsche Soldaten sind auf dem Friedhof in Recogne bestattet - von vielen von ihnen kennt man keinen Namen.

Im Vorfeld des Volkstrauertages war es die Aufgabe der Idsteiner, den Friedhof herauszuputzen. Das bedeutete, auf dem weitläufigen Gelände das Laub der zahlreichen Bäume zusammenzufegen und abzutransportieren.

Dabei war das Wetter auf der Seite der Idsteiner. „Von Anfang an hatten wir gutes Wetter - nicht immer Sonne, aber immer trocken“, so Jörg Fried, der bereits den sechsten Einsatz der Idsteiner in den vergangenen 13 Jahren leitete. Dass eine Reservistenkameradschaft fast alle zwei Jahre einen Einsatz durchführen darf, ist etwas Besonderes. „Der Volksbund weiß, dass er sich auf uns verlassen kann. Besonders freue ich mich immer, wenn auch wie diesmal wieder fördernde Mitglieder dabei sind und nicht nur Soldaten. Schließlich gehören Sie genauso zu unserer Reservistenkameradschaft wie die Ehemaligen“. Dass alle kräftig anpackten zeigte sich auch daran, dass die Idsteiner bereits einen Tag vor Plan fertig mit allen Arbeiten waren. „Der Volksbund hat seine Erfahrungen, wie lange man für solche Arbeiten benötigt. Aber bereits am Donnerstagnachmittag war alles erledigt“, so Fried. Auch der Friedhofsverwalter sei überrascht gewesen von der Schnelligkeit und Organisation der Idsteiner. So wurde nach Rücksprache mit dem Volksbund in Deutschland der Einsatz um einen Tag verkürzt.

Der Freitag wurde noch für militär-historisches „Sightseeing“ genutzt. „Und dafür braucht man gar nicht weit zu fahren. In jedem noch so kleinen Ort steht ein alter deutscher oder amerikanischer Panzer und erinnert an die Kämpfe.“ Museen gibt es ebenfalls viele. Bekannt ist das luxemburgische Militärmuseum in Diekirch, welches die Reservisten besuchten. Dieses befasst sich zum einen mit der Ardennenoffensive, zum anderen mit der Geschichte der luxemburgischen Armee. Nach dem Besuch in Diekirch führte der Weg zurück nach Belgien, wo man den Tag in Bastogne ausklingen lies. Der Besuch des Museums ließ das Gespräch vor der Abreise in Idstein und die tausende von Kreuzen auf dem Friedhof noch einmal anders wirken. „Das Grauen des Krieges und die Sinnlosigkeit des Todes von so vielen Menschen - vor allem so vieler junger Menschen - ergreift einen hier ganz persönlich“.

Dass dieses Gedenken vielen Menschen wichtig ist, konnten die Idsteiner täglich erleben. Es verging kein Tag, an dem nicht Besucher auf den Friedhof kamen und das Gespräch suchten - Junge und Alte, Deutsche, Amerikaner, Niederländer und Belgier. Und auf vielen Gräbern standen Blumen oder Gestecke. „Das zeigt, dass auch mehr als 66 Jahre nach dem Krieg die Toten nicht vergessen sind und ihr sinnloser Tod uns heute zu Frieden und Verständigung unter den Völkern mahnen soll.“ Somit war der Arbeitseinsatz - für den übrigens alle Teilnehmer eine Woche ihres Jahresurlaubs opferten - nicht nur „Gartenarbeit“, sondern eine tiefe persönliche Erfahrung, die jeden einzelnen tief bewegt hat.

 

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werbul1d Idsteiner Zeitung, 7. Dezember 2011

 

Dem Albtraum entflohen

GESCHICHTE Zeitzeuge Walter Hornik zu Gast bei der Reservistenkameradschaft

„Meine Erinnerungen an das Dritte Reich beginnen 1938. Ich komme ja aus dem Sudetenland, und bis 1938 gehörten wir zur Tschechoslowakei“, so Walter Hornik. Mit seinen 89 Jahren ist er bislang der älteste Gast der Idsteiner Reservisten, die mit ihm zum vierten Abend ihrer Reihe „Zeitzeugen berichten“ einluden. „Für uns Deutsche war in der Tschechoslowakei sicher nicht alles gut - aber es war bei weitem auch nicht so schlecht, wie es heute oft berichtet wird.“

Mit dem Anschluss des Sudentenlandes an das Deutsche Reich unterlagen auch dort alle Deutschen der Wehrerfassung. „Heim ins Reich hieß es damals auch bei uns. Dabei gehören wir noch nie zu Deutschland - wenn überhaupt gehörten wir einmal zu Österreich-Ungarn“, so Hornik mit einem Schmunzeln. Im Januar 1941 musste Hornik zum Reichsarbeitsdienst einrücken und diente bis zum Herbst desselben Jahres. Dort hatte er den Dienstrang eines „Oberbohrmanns“ erreicht, als er anschließend sofort zur Wehrmacht eingezogen wurde. Er kam zur 108. Panzergrenadierdivision in Dresden. Hier hatte Hornik eines Nachts einen Traum, der sein weiteres Leben bestimmen sollte - und ihm vielleicht auch das Leben rettete. Er träumte, dass er von einem russischen Soldaten erstochen würde. „Da sagte ich mir: Du gehst nicht nach Russland!“ So bewarb sich Hornik zu dem neu aufgestellten Afrika-Korps.

Für Hornik ging es mit dem Zug von Berlin über den Balkan nach Athen. Über Kreta kam er nach Marsa-Matruk in Afrika. Deutschen und italienischen Verbänden kämpften in Afrika Seite an Seite. Drei Monate lag man vor El-Alamein - „einer völlig nichtssagenden Eisenbahnstation“. „Dann kam das Sechs-Tage-Rennen“, so Hornik. „Wir griffen El-Alamein von hinten an. Man machte unseren Einheiten die Zusage, dass in Tobruk drei Tanker mit Treibstoff ankämen, die unser Nachschub wären. Doch kurz vor ihrer Ankunft wurden die Tanker versenkt“. Somit wurde nach sechs Tagen - daher Sechs-Tage-Rennen - der Angriff abgebrochen. Die Deutschen zogen sich aus Spritmangel zurück.

Dann kam der 28. Oktober 1942 mit einem Großangriff der Briten. Hornik war zu diesem Zeitpunkt Kommandant einer Selbstfahrlafette beim Panzergrenadier-Regiment 104. Sein Fahrzeug erhielt einen Treffer. „Ich wurde hinausgeschleudert und schlug auf den Boden. Mir blieb in diesem Moment die Luft weg!“ Walter Hornik kam über rückwärtige Verbandplätze nach Tobruk und von dort mit einem Lazarettschiff nach Neapel. Weiter brachte ihn ein Zug nach Garmisch-Partenkirchen. Bis Anfang Dezember 1942 blieb er dort zur Erholung.

Anschließend musste er sich bei seinem Ersatztruppenteil in Landau melden. Hornik meldete sich für Afrika zurück, kam nach Tunis und gehörte dort zum Divisionsnachschubstab.

Als amerikanische Truppen in Afrika landeten, begann das Ende des deutschen Afrika-Korps. Fortan waren die militärischen Bewegungen vom Rückzug bestimmt.

„Am 13. Mai war dann auch für mich der Krieg zu Ende“. Hornik ergab sich den Briten, die ihn mit Handschlag und den Worten „War is over for You“ in Empfang nahmen. „Über verschiedene Gefangenenlager gelangten wir nach Oran. Dort bewarfen uns die Franzosen mit Steinen. Die Amerikaner mussten sie mit der Waffe in Schach halten.“ Mit sogenanntenLiberty-Schiffen“ ging es nach New York. Dort wurden die Gefangenen registriert, bevor sie mit Zügen nach Fort Lewis in Texas kamen. Am 1. März 1946 kam endlich die Nachricht „Rücktransport in die Heimat!“. Von Los Angeles aus ging nach Liverpool, doch weiter in die Heimat ging es vorerst nicht. Walter Hornik kam an die schottische Grenze zum Torfstechen. 1947 konnten dann auch die letzten Gefangenen nach Deutschland zurück. Der Heimweg führte über London nach Cuxhaven. Von München aus fuhr Hornik - der seine Verwandten inzwischen in Wallrabenstein ausfindig gemacht hatte - nach Frankfurt. So führte Walter Horniks Weg nach Wallrabenstein, wo er bis heute lebt.

 

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